Moerderische Fracht
verflucht. Doch es war nicht so, dass jemand gekommen ist und gesagt hat: ›Lasst uns heute Leonid Bakarov anzünden!‹ Genau das ist bei dir aber geschehen. Es war ein eiskalter, grausamer, sorgfältig geplanter Mordanschlag, und die Wut darüber schnürt mir die Kehle zu.
Als du wieder eingeschlafen bist, stehe ich auf und gehe in das kleine Bad, das zu deinem Krankenzimmer gehört. Es ist so winzig, dass ich den Sinn des deutschen Wortes Nasszelle begreife. Das Gesicht im Spiegel macht mir Angst. Es ist noch blasser als sonst, die Haut spannt über den Wangenknochen, die Lippen sind zu einem schmalen Strich zusammengepresst, und einen winzigen Augenblick lang weiß ich, wie ich als alte Frau aussehen werde. Nach all den Sorgen und der stundenlangen Heulerei sind mein Make-up und meine Nerven ruiniert, und ich sehe genauso aus, wie ich mich fühle. Gut so, denke ich, ohne recht zu wissen, was ich damit meine. Es passt zu meinem Plan! Welcher Plan?
Warts ab!
Ich gehe zurück an dein Bett, halte deine Hand und schaue dich noch einmal an. Ich möchte dich küssen, aber ich habe Angst, dir weh zu tun. Also ziehe ich meinen Mantel über und trete hinaus auf den Flur. Er ist nur schwach beleuchtet und menschenleer. Aus dem Stationszimmer höre ich das leise Murmeln der Nachtschwestern. Niemand sieht mich, als ich vorbeihusche. Der Empfang in der Eingangshalle des Krankenhauses ist nicht besetzt.
Meiners hat den Namen des Hotels genannt, leider habe ich keine Ahnung, wo es sich befindet. Kurz entschlossen steige ich in das letzte einsame Taxi, das vor dem Krankenhaus wartet. Das mürrische Gesicht des Fahrers hellt sich auf, als ich das Fahrziel nenne. Die Strandperle in Duhnen ist eine gute Adresse, die Fahrt lohnt sich für ihn.
Das Hotel ist schick und modern und scheint, soweit ich das bei Dunkelheit beurteilen kann, direkt am Strand zu liegen. Der Mann an der Rezeption mustert mich abfällig. Er ist noch jung. Sein Gesicht ist voller Aknenarben und grau vor Müdigkeit. Einen Augenblick lang verlässt mich der Mut, dann reiße ich mich zusammen und versuche, selbstsicher und souverän zu erscheinen, doch meine Stimme spielt nicht mit.
›Guten Abend. Es tut mir leid, dass ich noch so spät hier hereinplatze. Ich muss mit einem Gast sprechen. Es ist sehr wichtig!‹
Der Mann hinter dem Empfangsschalter hat jetzt ein wissendes und verächtliches Lächeln aufgesetzt. Mein Akzent hilft ihm, mich einzuordnen. Eine russische Nutte, denkt er. Hat sich der Typ mit den Leibwächtern noch bestellt. Sieht aus, als ob sie in dieser Nacht schon einiges hinter sich hat, aber wir sind hier in Cuxhaven und nicht in Wladiwostok.
›Wissen Sie, wie spät es ist?‹
›Der Herr von der russischen Botschaft, der bei Ihnen wohnt. Ich muss ihn sprechen. Bitte, helfen Sie mir!‹
Ich versuche einen flehentlichen, devoten Ton anzuschlagen, den mir allerdings noch nie jemand abgenommen hat, und auch bei dem Schnösel hinter dem Tresen verfängt er nicht.
›Tu mir einen Gefallen und verpiss dich‹, sagt er, nicht einmal unfreundlich.
Hinter mir in der halbdunklen Hotelhalle höre ich ein scharrendes Geräusch, vielleicht von einem Stuhl, der zurückgeschoben wird, und ich drehe mich um. Ein großer Mann kommt auf mich zu. So wie viele Amerikaner angeblich einen FBI-Agenten auf hundert Meter erkennen, erkenne ich den FSB, der früher einmal KGB hieß. Damals war es noch einfacher.
›Was wünschen Sie?‹, fragt er in einwandfreiem Deutsch. Er ist sehr höflich und professionell.
›Ich möchte mit Herrn Grygoriew von der russischen Botschaft sprechen, bitte, es ist sehr wichtig. Er kennt mich. Rufen Sie ihn an, mein Name ist Elena Bakarova. Es ist wirklich sehr wichtig!‹
Der Leibwächter überlegt einen Augenblick, holt sein Handy heraus und wählt eine lange Nummer.
›Sascha hier‹, sagt er auf Russisch, ›ist er noch wach? Gut! Frag ihn, ob er Elena Bakarova sprechen will …. Da? Dann kommen wir jetzt rauf.‹
Wir fahren mit dem Lift in das zweite Obergeschoss und gehen einen schwach erleuchteten Gang bis zum Ende. Vor der letzten Zimmertür stehen noch zwei Bodyguards. Sie sehen kompakter und ruppiger aus als der Mann aus der Hotelhalle, und ich kann die wuchtigen Ausbeulungen unter ihren Achselhöhlen erkennen. Einer lässt mich die Arme hochheben und tastet mich flüchtig nach Waffen ab, klopft darauf an die Tür und Grygoriew macht auf. Er trägt einen Morgenmantel aus karmesinroter Seide, unter dem er aber
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