Moerderische Fracht
vollständig bekleidet zu sein scheint, und ganz offensichtlich hat er getrunken. Mit einer lässigen Handbewegung winkt er mich herein, und die Leibwächter schließen von außen die Tür. Ich schaue mich im Zimmer um. Es ist eine sehr große, gediegen in Kapitäns-Blau eingerichtete Suite mit viel maritimem Schnickschnack. Grygoriew geht zu einer Art Anrichte und gießt sich aus einer Kristallkaraffe ein großes Glas Cognac ein. Als er sich wieder umdreht, funkelt er mich zornig an.
›Nun‹, sagt er, ›sind Sie zufrieden?‹
Ich schließe die Augen und bewege die Augäpfel unter den Lidern. Das hat immer funktioniert, bei mir jedenfalls. Als ich sie wieder öffne, sind sie voller Tränen.
›Gowno‹, sage ich weinend und wechsle intuitiv ins Russische, ›wie können Sie so etwas sagen? Achtundzwanzig Seeleute sind auf der Ulan gestorben, die gesamte Besatzung, Russen wie wir! Mehr als einhundertsechzig Tote auf der Fähre, die von brennenden Wrackteilen getroffen wurde, und sechsundzwanzig auf dem Frachter, der in die Explosion hineinfuhr, und Sie fragen mich, ob ich zufrieden bin?‹
Das Zittern in meiner Stimme ist nicht gespielt, weil meine Empörung über das wahnsinnige Morden echt ist, und Grygoriew scheint das zu spüren. Aber es ändert nichts.
›Sie sind keine Russin!‹
›Weil ich in Lettland geboren bin? Meine Eltern sind Russen, und ich bin es auch. Meine Seele ist russisch. Meinen Sie, wer nicht für die Regierung und den FSB ist, muss deshalb ein Freund von Terroristen sein?‹
›Eine richtige Russin wäre es jedenfalls nicht.‹
Ich schweige scheinbar betroffen und fange wieder an zu weinen. Mit einer absichtlich ungeschickten Bewegung reibe ich meine tränennassen Augen und verteile die Reste des Make-ups auf meinen Wangen. Es muss gespenstisch aussehen. Grygoriew macht mich so wütend, dass meine Emotionen völlig echt sind, auch wenn er sie anders deutet. Bis jetzt war es leicht, der schwierige Teil kommt noch. Ich schlucke die Tränen hinunter.
›Ich bin eine richtige Russin‹, sage ich mit bebender Stimme, ›und deshalb bin ich heute Nacht zu Ihnen gekommen!‹
Grygoriew stutzt, ein breites, wölfisches Lächeln stiehlt sich auf sein Gesicht. Er bewegt sich langsam auf mich zu.
›Das, mein Täubchen‹, sagt er, ›war eine sehr gute Idee.‹
Gütiger Himmel, mit allem habe ich gerechnet, nur damit nicht. Ich weiche zurück, aber da ist die Wand. Meine Gedanken überschlagen sich. Grygoriew kann tun, was er will. Er genießt diplomatische Immunität und hat drei Zeugen, die bestätigen, was immer er sagen wird. Eine Nutte, die sich unter einem Vorwand Zugang zum Zimmer des Handelsattachés verschafft hat. Offenbar auch Russin. Hat sich plötzlich die Kleider vom Leib gerissen und Geld verlangt.
Grygoriews Hände umfassen meine Taille, um mich zu sich heranzuziehen, und seine rechte Hand drückt dabei auf den Verband der Stichverletzung. Ich gebe einen ächzenden, kleinen Schmerzenslaut von mir, der ihn überrascht, doch sein Griff lockert sich nicht. Sein Gesicht ist jetzt sehr nahe, und seine Hände gleiten von der Taille nach unten.
›Hören Sie auf!‹, sage ich. Angst und Ekel blockieren meine Stimmbänder, und ich bekomme kaum einen Ton heraus, was ihm zu gefallen scheint.
›Du bist sehr blass‹, sagt er, ›wird Zeit, dass du etwas Farbe bekommst!‹
Seine rechte Hand schiebt sich unter meinen Rock, und verzweifelt drehe ich meinen Kopf zur Zimmertür, hinter der ich die Bodyguards vermute. Grygoriew lächelt amüsiert.
›Wenn du willst, können wir sie dazurufen‹, sagt er, und irgendwie löst dieser dreckige Satz meine Erstarrung.
›Tschjornaja dyrka!‹, schreie ich, was das schlimmste russische Schimpfwort ist, das mir in diesem Augenblick einfällt, ›ich habe ihn gesehen! Den tschetschenischen Killer! Hier in Cuxhaven! Deshalb bin ich gekommen! Verdammt noch mal, hören Sie auf!‹
Grygoriew hat seine Hände überrascht sinken lassen und ist tatsächlich einen Schritt zurückgetreten. Ich weiß, dass ich nur diesen kurzen Augenblick habe.
›Der Mann, der versucht hat, mich umzubringen. Um zu verhindern, dass ich die Behörden vor dem Anschlag warne. Er war hier. Heute Abend habe ich ihn gesehen, in der Innenstadt. Er ist zu Leuten in einen Wagen gestiegen, zwei von denen haben kaukasisch ausgesehen!‹
Die Tür geht auf, und ein Leibwächter steckt seinen Kopf herein. Grygoriew bedeutet ihm, wieder zu verschwinden.
›Hier‹, sage ich und
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