Moerderische Idylle
normaler netter Mensch ist, an den man in solchen Fällen eben nicht denkt. Oder sie hatten einfach keine Zeit, weil sie die ganze Zeit mit ihren verdammten Wattestäbchen durch die Gegend gelaufen sind«, fügte er hinzu und zuckte mit den Schultern.
»Wenn wir bedenken, was er mit dem Opfer gemacht hat, scheint er aber noch ganz andere Seiten zu haben«, meinte Holt. »Die nicht so nett sind, meine ich.«
»Das sag ich ja gerade«, sagte Johansson. »Dieses eine Mal sind bei ihm sämtliche Dämme gebrochen, er hat den Boden unter den Füßen verloren, und dann ging es, wie es eben ging. Ich hatte mal einen Fall. Vor vielen Jahren. Den Mariamord, das Opfer hieß Maria, sie war übrigens Lehrerin, wie Lindas Mama. Hab ich schon mal davon erzählt«, fragte Johansson.
»Nö«, sagte Holt. Der ist wie ein Kind, dachte sie.
»Erzähl, Chef«, sagte Mattei und sah genauso interessiert aus, wie sie war.
»Na gut, wenn ihr darauf besteht«, sagte Johansson.
Und dann erzählte Lars Martin Johansson die Geschichte von Maria, siebenunddreißig, die in Enskede bei Stockholm wohnte und an einem Gymnasium auf Södermalm unterrichtete. Alleinstehend, sympathisch, normal, durchschnittlich und von Freunden, Bekannten, Kollegen und Schülern und allen anderen, mit denen die Polizei gesprochen hatte, gerne gemocht. Die nicht die kleinste Leiche im Keller zu haben schien und auch keinen niedlichen Massagestab im Nachttisch. Die aber dennoch vergewaltigt und erwürgt in ihrer Wohnung aufgefunden worden war. Obwohl sie nicht in der Kneipe gewesen war, sondern einfach Aufsätze korrigiert hatte.
»Zuerst haben wir alles gemacht, was man eben macht«, erzählte Johansson. »Haben uns ihre Verflossenen vorgenommen, ihre Freunde und Bekannten, Kollegen, Nachbarn, alle, denen sie kurz vor dem Mord über den Weg gelaufen sein könnte. Außerdem die alten Klassiker, die es immer gibt, sowie die Polizei mit solchen Verbrechen zu tun hat. Das ganze Register vom Vergewaltiger bis zum Exhibitionisten und allen anderen möglichen Männern, die vielleicht in der Nähe gewesen waren und deren Vergangenheit in den Verzeichnissen der Polizei Spuren hinterlassen hatte.«
»Und was ist dabei herausgekommen«, fragte Holt, obwohl sie die Antwort bereits kannte.
»Nichts«, sagte Johansson. »Aber dann fing einer von uns an, sich über ein geheimnisvolles Auto Gedanken zu machen, das zwei Tage vor dem Mord gesehen worden war, und nur vierundzwanzig Stunden später fiel dann der Groschen«, erklärte Johansson und sah ziemlich zufrieden aus.
Wer das wohl gewesen sein mag, dachte Anna Holt, obwohl jedes Kind die Antwort hätte erraten können.
Der Wagen hatte nicht ganz geschickt vor einer Garageneinfahrt geparkt, und als das zum zweiten Mal passiert war, hatte der erboste Garagenbesitzer bei der Polizei angerufen, um den Autohalter anzuzeigen. Die Anzeige hatte in den Stapeln mit den Ermittlungsunterlagen gelegen, aber da der Fahrzeughalter ein ganz normaler, durchschnittlicher, nicht vorbestrafter Mann von Mitte vierzig gewesen war, hatte man nicht weiter darauf geachtet.
Bis »einer von uns« aus der Ermittlertruppe sich gefragt hatte, was der Wagen dort eigentlich zu suchen gehabt hatte.
»Das Opfer wohnte ja in einem ganz normalen Wohngebiet. Und das Auto stand spätabends dort. Der Besitzer war verheiratet und hatte zwei Kinder, er arbeitete als Ingenieur im damaligen Vattenfall-Büro draußen in Räcksta und wohnte in einem Reihenhaus in Vällingby auf der anderen Seite der Stadt. Natürlich habe ich mich gefragt, was er um diese Zeit dort zu suchen hatte«, sagte Johansson, der entweder die Maske absichtlich fallen oder seinen Erinnerungen freien Lauf ließ.
»Und was ist dabei herausgekommen«, fragte Holt, obwohl sie sich die Sache schon zusammengereimt hatte, sie fragte vor allem, um ihrer atemlos lauschenden jüngeren Kollegin zuvorzukommen.
Die alte traurige Geschichte, meinte Johansson. Noch dazu in der zweithäufigsten Abfüllung.
»Ich habe sicher schon gesagt, dass er eine Frau hatte«, erinnerte Johansson seine beiden Zuhörerinnen. »Als wir sie nachgeschlagen haben, stellte sich heraus, dass sie eine Arbeitskollegin des Opfers war, was doch gelinde gesagt ein seltsamer Zufall war. Der Täter hatte das Opfer kennengelernt, als er seine Frau nach einem Schulfest abgeholt hatte. Dann hatten er und das Opfer die übliche heimliche Beziehung begonnen. Das Opfer hatte ihn und seine niemals eingehaltenen
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