Moerderische Idylle
Mann mit auf die Wache nahm und die Frau ins Krankenhaus fuhr, wo sie verarztet wurde und ihre Verletzungen dokumentiert wurden. Danach ging die Sache ihren üblichen Gang, und dass es überhaupt so lange gedauert hatte, lag daran, dass die Aussagen der Beteiligten einander heftig widersprachen, dass es keine Zeugen für die eigentliche Misshandlung gab und dass es im Zuge der Ermittlungen zu mehreren Anzeigen und Gegenanzeigen gekommen war.
Der Angeklagte arbeitete als Verkäufer bei einer größeren Autofirma in Växjö, und auch dieser Beruf schien seit mehreren Generationen in der Familie zu sein. Sein eigener Vater war ebenfalls bei dieser Firma tätig gewesen, von Mitte der fünfziger Jahre an, bis er vierzig Jahre darauf in Rente gegangen war, und der Großvater hatte bis zu seinem Tod kurz vor Kriegsende für eine Firma bei Hultsfred Landbaumaschinen verkauft.
Abgesehen von ihrem Interesse an Autos und Traktoren hatten der Angeklagte und sein Vater und Großvater noch eine weitere gemeinsame Leidenschaft, nämlich die Jagd. Ein verhältnismäßig großer Teil der Gerichtsverhandlung hatte sich diesem Aspekt gewidmet, und unter anderem hatten der Angeklagte und sein Verteidiger zwei Charakterzeugen vorgeladen, die berichten konnten, was die weggeworfenen Bisampantoffeln ihrem Freund und Jagdkameraden wirklich bedeutet hatten. Es hatte sich eben nicht um ganz gewöhnliche Pantoffeln gehandelt.
In der Sippe des Angeklagten erzählte man sich, dass der Großvater in den harten Kriegsjahren in Gewässern und Feuchtgebieten bei Hultsfred ein rundes Dutzend Bisamratten geschossen habe. Er habe seine Beute selber abgehäutet, habe die Felle präpariert und sie dann einem lokalen Schuhmacher überlassen, der sie zu zwei überaus bequemen und wärmenden Pantoffeln verarbeitet habe. Heiß geliebt von ihrem Besitzer und fast unersetzlich in den kalten Wintern gegen Ende des Zweiten Weltkriegs.
Die Bisamratte, Ondatra zibethicus, war in den Gefilden von Hultsfred ein überaus seltenes Wild. Außerdem scheu, sehr schwer zu jagen und kaum größer als ein kleines Kaninchen. Es hatte deshalb mehrere Jahre gedauert, genug Felle für ein Paar Pantoffeln zu erwischen. Nach dem Tod des Großvaters waren die Pantoffeln an den ältesten Sohn und dann später an dessen Sohn gefallen. Die Geschichte der Pantoffeln war über ein halbes Jahrhundert hinweg zahllose Male erzählt worden, vor den lodernden Flammen in der Jagdhütte, eingehüllt in Schneewehen und männlichen Frieden. Die Geschichte war im Laufe der Zeit nicht schlechter geworden und gehörte jetzt zur mündlich tradierten Jagdgeschichte Smälands. »Sie bildet sogar einen Teil unseres lokalen Kulturerbes«, erklärte der Verteidiger, der übrigens sein Verhör der Geschädigten eben mit der absolut entscheidenden Bedeutung der Bisampantoffeln für das psychische Wohlergehen seines Mandanten beendet hatte.
»Aber Sie besitzen die Frechheit zu behaupten, dass es einfach ganz normale alte Pantoffeln waren«, rief der Verteidiger erbost und starrte die Geschädigte an.
Die Lage war aber noch schlimmer, wie sich dann herausstellte, das ging aus der überraschend ausführlichen Gerichtsreportage hervor, mit der die ausgesandte Mitarbeiterin von Smälandsposten ihre Leser versorgte. Die Geschädigte war nämlich nicht nur die Verflossene des Angeklagten. Sie arbeitete außerdem seit vielen Jahren als Tierarzthelferin, und obwohl sie im Beruf - glücklicherweise - niemals mit einem Exemplar von Ondatra zibethicus zu tun gehabt hatte, schienen ihr doch tiefe Kenntnisse über Bisamratten zu eigen.
Die ganze Geschichte sei typisch männliches Jägerlatein, erklärte sie Richter und Jury. Wenn der Großvater diese Geschichte, die sie sich zu ihrem Leidwesen in ihren viel zu vielen gemeinsamen Jahren mit dem Enkel immer wieder hatte anhören müssen, wirklich erzählt hatte, dann beweise das nur, dass er ein ebenso großer Aufschneider war wie sein jagender Nachkomme.
Die Bisamratte sei nämlich über Finnland nach Schweden und Norrland eingewandert, und da das erst 1944 geschehen sei, also zwei Jahre, nachdem der Großvater ihres Verflossenen eintausenddreihundert Kilometer weiter südlich ein Paar Pantoffeln erjagt haben wollte, handele es sich bei der ganzen Geschichte einfach um eine dicke Lüge. Ziemlich viele Jahre hindurch habe sie um des lieben Friedens willen dazu geschwiegen. Aber wenn sie nun schon gefragt werde, dann stammten die Pantoffeln aller
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