Mörderische Kaiser Route
beschwert.
Ich hatte mich auf den Rand des Neptunbrunnens auf dem Platz vor dem Dom gesetzt und beobachtete Dieter, der das erste Hinweisschild der Radstrecke suchte.
„Die Kaiser-Route hat Start und Ziel am Paderborner Dom und am Aachener Rathaus. Daran wollten wir uns halten und darauf bestehe ich.“ Im Übrigen, so warf ich ihm vor, seien es gerade die Aachener gewesen, die die Genauigkeit in Westfalen eingeführt hätten, da könne er jetzt nicht hingehen und die fünf gerade sein lassen. Ob er noch nie etwas von dem Regierungspräsidenten von Mallinckroth gehört hätte, ärgerte ich meinen Freund.
„Der war ein Öcher Pedant, wie er im Buche stand und hat zunächst sein Tochter Pauline und danach die komplette Familie nach Paderborn umgesiedelt, um denen hier zu zeigen, was preußische Ordnungsliebe ist.“
Dieter gab sich überraschend schnell geschlagen. „Bevor du mich dumm und dämlich redest, lass uns von mir aus da oben anfangen.“
An einem Schildständer links vom Hauptportal des Doms würden wir das erste Hinweisschild der Kaiser-Route finden, so hatte es uns der Tourenführer verraten.
„Das Erste von einhundertundvierundsiebzig. Und wehe, du lässt eines aus“, drohte ich Dieter, „dann fahren wir die gesamte Strecke noch einmal von vorne ab.“
Mein Chef blieb ungerührt. Er schwang sich in den Sattel, richtete noch einmal seinen Rucksack und startete. Ich musste mich beeilen, um ihn nicht schon auf den ersten Metern bergab auf der gepflasterten Gasse durch die verkehrsberuhigte Innenstadt aus den Augen zu verlieren.
An den Paderquellen und der Paderhalle vorbei führte uns die Route aus dem Zentrum hinaus. Am Westerntor verließen wir den mittelalterlichen Stadtkern. Am Padersee vorbei kamen wir schließlich auf den Radweg entlang einer Umgehungsstraße, die uns zunächst wenig reizvoll nach Wewer brachte.
Wir fuhren schweigend nebeneinander her und wunderten uns über die vielen Radfahrer, die am frühen Sonntag doch schon unterwegs waren. Der Verkehr war an dem warmen, klaren Tag fast schon zu viel und ließ ein zügiges, ungehindertes Fahren nicht zu.
Wir wollten im Schnitt fünfundzwanzig Kilometer in der Stunde schaffen und dabei zwischen einhundert und einhundertfünfzig Kilometer pro Tag zurücklegen. Bei einem derartigen Gedränge auf den Radwegen war das ehrgeizige Ziel bestimmt nicht zu erreichen. Erst hinter Wewer, an der Alme und einer offenbar nur selten befahrenen Eisenbahnlinie entlang, wurde die Strecke idyllisch.
Borchen, Alfen, Niederntudorf passierten wir und hatten damit fast schon zwanzig Kilometer zurückgelegt. Von weitem sichtbar wurde die auf einem Bergsporn liegende Wewelsburg, eine dreieckige, mächtige Burganlage mit einem eindrucksvollen runden Turm von zwanzig Metern Durchmesser.
Ich hatte schon bei der Vorbereitung unserer Reise darauf gedrängt, diesen steinernen Zeugen der deutschen Geschichte zu besichtigen.
Die Geschichte der Burg war nicht gerade ein einziges Ruhmesblatt. Die Anfang des 17. Jahrhunderts von einem Paderborner Bischof erbaute Burg wurde im 18. Jahrhundert weitgehend zerstört und in der Zeit des Nationalsozialismus von Heinrich Himmler zur Schule der Waffen-SS umfunktioniert.
Wie ich gelesen hatte, war der große Rundturm zum zentralen Kultplatz umgestaltet worden, mit einem Festraum im Obergeschoss und einem Raum für die heldenhafte Totenehrung im Keller. Zwangsarbeiter hatten den Umbau der Burg betreiben müssen, die nunmehr zum Teil als Jugendherberge und zum Teil als Kreismuseum genutzt würde.
„Ich möchte fast annehmen, dass die Wewelsburg ein beliebter Anlaufpunkt von rechten Jugendlichen ist“, keuchte ich, als ich das Fahrrad steil bergauf über das Kopfsteinpflaster zur Burg schob. „Da wird wohl so manches Treffen in der Jugendherberge bestimmt nicht so harmlos ablaufen, wie es den Anschein hat“, behauptete ich ungeprüft.
Hingegen konnte ich mir gut vorstellen, dass diese Wewelsburg den Nachwuchsrechten als Kultstätte dienen konnte. Offensichtlich war die Jugendherberge tatsächlich ein bekannter Treffpunkt. Auf dem Parkplatz und dem gepflasterten Weg in die Burg hinein standen viele Autos, wobei mir auffiel, dass etliche Vehikel mit Aachener, Dürener und Heinsberger Kennzeichen versehen waren.
„Die Grenzländer machen hier bestimmt eine
Familienversammlung“, unkte ich.
„Das sind alles deine Rechten“, grummelte Dieter. „Du leidest unter Verfolgungswahn und vermutest
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