Moerderische Kuesse
Auto fehlt es an Testosteron.« Er jaulte wieder durch die Nase. »Hörst du? Der reinste Sopran. Ein Vierzylindersopran.«
»Es ist ein ideales Stadtauto. Praktisch, wendig, sparsam, zuverlässig.«
Er kapitulierte. »Na schön. Du hast gewonnen. Ich werde ihn fahren, aber ich brauche danach eine Therapie, damit mir keine emotionalen Schäden bleiben.«
Sie sah nach vorn durch die Windschutzscheibe. »Eine Massagetherapie?«
»Hm.« Er ließ sich das durch den Kopf gehen. »Ja, das könnte klappen. Aber du wirst ganz schön lang massieren müssen.«
»Ich glaube, damit werde ich schon fertig.«
Er grinste sie augenzwinkernd an, und ihr dämmerte, dass sie sich möglicherweise selbst überlistet und zu etwas bereit erklärt hatte, wozu sie eigentlich nicht hundertprozentig bereit gewesen war. Achtundneunzigprozentig schon, aber nicht hundertprozentig. Das altbekannte Misstrauen begann wieder, an ihr zu nagen.
Sein untrügliches Gespür dafür, auf welcher Wellenlänge sie gerade war, ließ ihn unvermittelt ernst werden. »Ich will dich zu nichts drängen, was du nicht wirklich tun willst«, versprach er ruhig. »Wenn du nicht mit mir schlafen willst, brauchst du es nur zu sagen.«
Sie sah aus dem Fenster. »Hast du dir schon jemals etwas gewünscht und gleichzeitig Angst davor gehabt?«
»Du meinst wie bei einer Achterbahn, wenn du unbedingt mitfahren willst, aber dir der Magen schon bei dem Gedanken an die erste Abfahrt in der Kehle hängt?«
Sogar über seine Ängste sprach er mit Witz, dachte sie und lächelte. »Als ich das letzte Mal mit jemandem zusammen war, wollte er mich hinterher umbringen.« Sie sagte das ganz beiläufig, aber die Angst und Anspannung, die ihr bis zu diesem Tag das Herz zusammenpressten, waren ganz und gar nicht beiläufig.
Er pfiff. »Das kann einem echt den Tag versauen. War er krankhaft eifersüchtig oder so?«
»Nein, er hatte den Auftrag dazu.«
»Ach, Schätzchen«, sagte er tieftraurig, als würde er sie bemitleiden, »das tut mir aber Leid. Ich kann verstehen, dass dich das vorsichtig gemacht hat.«
»Das ist noch untertrieben«, murmelte sie.
»Enthaltsam?«
»Schon eher.«
Er zögerte, als wüsste er selbst nicht, wie viel er wissen wollte. »Und wie lange?«
Achselzuckend antwortete sie: »Sechs Jahre lang.«
Das Lenkrad zuckte in seinen Händen, der Wagen brach kurz aus, und der Fahrer auf der Nebenspur drückte warnend auf die Hupe. »Sechs – Jahre?« Er klang fassungslos. »Du warst seit sechs Jahren mit niemandem mehr zusammen? Heilige Scheiße. Das … das nenne ich echt vorsichtig.«
In seinen Augen war es das vielleicht, aber er war auch nicht um ein Haar von jemandem getötet worden, den er liebte. Bis zu Zias Tod war sie überzeugt gewesen, dass nichts schlimmer sein konnte als Dmitris Verrat.
Er überlegte kurz und sagte dann: »Ich fühle mich geehrt.«
»Dazu besteht kein Grund. Hätten uns nicht die Umstände zusammengeführt, dann hätte ich mich bestimmt nicht mit dir eingelassen«, bemerkte sie. »Wenn wir uns unter normalen Umständen begegnet wären, hätte ich dich sofort in den Wind geschossen.«
Er kratzte sich am Nasenflügel. »Und ich hätte dich nicht mit meinem Charme betören können?«
Sie schnaubte unwillig. »Du wärst mir gar nicht so nahe gekommen, dass ich deinen Charme gespürt hätte.«
»Es mag gefühllos klingen, aber wenn die Sache so liegt, dann bin ich froh, dass man neulich auf dich geschossen hat.
Falls es so was wie Schicksal gibt, dann war es uns garantiert vorbestimmt, dass ich ganz allein dort saß, als du gerade dabei warst, eine Schießerei zu verlieren.«
»Vielleicht war es auch reiner Zufall. Es wird sich erst noch herausstellen müssen, ob das Glück oder Pech war – für dich, meine ich.« Vielleicht auch für sie, obwohl sie sich wahrscheinlich glücklich schätzen konnte, denn so hatte sie, selbst wenn alles den Bach runterging, wenigstens noch einmal lachen dürfen.
»Ich weiß das jetzt schon.« Seine Stimme klang dunkel und träge. »Für mich war es das größte Glück seit langem.«
Sie sah ihn an und fragte sich, wie sich so ein Leben wohl anfühlte, wie es wohl sein mochte, so optimistisch und so mit sich im Reinen zu sein. Sie konnte sich nicht entsinnen, dass sie je etwas Ähnliches empfunden hatte, nicht einmal während der glücklichen Jahre mit Zia.
Nach Zias Tod waren innerer Friede und inneres Glück für sie in weite Ferne gerückt. Sie hatte sich auf ein einziges Ziel
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