Moerderische Kuesse
konzentriert, sie hatte nur noch ihre Freunde und Zia rächen wollen. Jetzt war Swain in ihr Leben getreten, und aus ihrem persönlichen Rachefeldzug war ein so ungeheuer wichtiges Unternehmen geworden, dass sie es noch nicht ganz überschauen konnte. Ihre persönlichen Gefühle waren nicht länger von Bedeutung, stattdessen war sie gezwungen, die Dinge aus einer völlig anderen Perspektive zu betrachten. Sie wusste, dass die Trauer um einen geliebten Angehörigen zwar nie ganz erlosch, aber von scharfer, alles zerfetzender Qual über dumpfen Schmerz bis hin zu Akzeptanz und der Erinnerung an die schönen Zeiten schwanken konnte – und dass sich all diese Empfindungen in kürzester Zeit und ohne bestimmte Reihenfolge abwechselten. Plötzlich konzentrierte sie sich nicht mehr auf sich selbst und ihren Verlust, sondern auf etwas, das außerhalb ihrer selbst lag, und mit diesem Wechsel hatte sich auch der Schmerz verändert, den sie seither nicht mehr als so unmittelbar und lähmend empfand.
Sie vermochte nicht zu sagen, wie lange diese Erholungspause anhalten würde, aber sie war für jede Sekunde dankbar. Ihr war bewusst, dass Swain, einfach durch seine dreiste, uramerikanische Art, zu einem großen Teil dafür verantwortlich war. Natürlich brauchte er nur in seinem lässigen Schlendergang über die Straße zu spazieren, um bei fast jeder Frau die Laune zu heben. Sie wusste das genau, sie hatte beobachtet, wie ihm die Frauen nachsahen, und sie wusste vor allem, wie er auf sie wirkte.
Er nahm ihre Hand und drückte sie. »Hör auf, dir so viele Sorgen zu machen. Alles wird gut.«
Sie lachte ironisch. »Du meinst: Es wird sich herausstellen, dass der geheimnisvolle Anrufer nicht Rodrigo ist; er kann uns alles sagen, was wir über das Sicherheitssystem im Labor wissen müssen; wir kommen problemlos hinein, können das Virus komplett ausradieren, gleichzeitig Dr. Giordano töten, damit er nicht noch mal von vorn anfangen kann, und zum Schluss wieder abhauen, ohne dass jemand uns bemerkt?«
Er ließ sich das durch den Kopf gehen. »Vielleicht nicht alles; das ist eine verdammt lange Wunschliste. Aber du musst fest daran glauben, dass sich irgendwie alles richten wird. Wir dürfen nicht versagen, also werden wir auch nicht versagen.«
»Die Kraft des positiven Denkens?«
»Mach dich ruhig darüber lustig. Ich fahre bis jetzt ganz gut damit. Zum Beispiel war ich von der ersten Sekunde an überzeugt, dass ich dich ins Bett kriegen würde, und jetzt sieh uns an.«
Wieder waren sie zur Untätigkeit verdammt, hatten tausend Dinge zu erledigen und konnten doch nichts tun. Swains Experte
für
Sicherheitssysteme
hatte
nicht
wieder
zurückgerufen, dabei ahnten sie, seit ihnen bewusst war, wogegen sie kämpften, dass vor Ort wesentlich ausgefeiltere Sicherheitsmaßnahmen installiert sein würden, als sie der durchschnittliche Sicherheitsexperte je zu Gesicht bekam.
Nur um sich ein wenig schlauer zu machen, recherchierten sie, bevor sie ins Hotel zurückkehrten, in einem Internetcafe zum Thema Influenza. Es gab so viel Material darüber, dass sie zwei Computer mieteten und die Fundstellen untereinander aufteilten, um Zeit zu sparen.
Irgendwann am Nachmittag zückte Swain nach einem kurzen Blick auf seine Uhr das Handy und wählte eine ewig lange Nummer. Was er sagte, konnte Lily von ihrem Computer aus nicht verstehen, aber er wirkte sehr ernst dabei. Nach dem kurzen Gespräch massierte er sich die Stirn, als hätte er Kopfschmerzen.
Während ihr Computer damit beschäftigt war, eine besonders große Datei zu laden, ging sie zu ihm hinüber. »Ist irgendwas?«
»Ein Freund aus den Staaten hatte einen schweren Verkehrsunfall. Ich habe mich gerade nach seinem Befinden erkundigt.«
»Und wie geht es ihm?«
»Unverändert. Die Ärzte meinen, das sei ein gutes Zeichen.
Nachdem er die ersten vierundzwanzig Stunden überlebt hat, sind sie etwas optimistischer als zuvor.« Er drehte die Hand hin und her. »Es könnte immer noch so oder so ausgehen.«
»Musst du zu ihm?«, fragte sie. Sie wusste nicht, was sie ohne ihn anfangen würde, aber wenn es ein guter Freund von ihm war – »Ich kann nicht«, war die knappe Auskunft.
Sie fasste das so auf, dass er nicht in die USA fliegen konnte, dass er dort unerwünscht war und von der Einreisebehörde abgewiesen würde. Mitfühlend legte sie die Hand auf seine Schulter, denn sie konnte sich vorstellen, wie er sich fühlte.
Wahrscheinlich würde sie ebenfalls nie wieder nach
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