Moerderische Kuesse
Vorfälle nichts miteinander zu tun hatten. Vielleicht war es einfach nur ein besonders schlechtes Jahr. Und doch …
die Joubrans waren Profis gewesen, der Mann als Sprengstoffexperte, die Frau als Killer; Denise Morel war höchstwahrscheinlich ebenfalls ein Profi. War es da wirklich auszuschließen, dass sie vom gleichen Auftraggeber angeheuert worden waren?
Andererseits unterschieden sich die beiden Vorfälle grundlegend voneinander. Bei der Explosion war gezielt Vincenzos Arbeit torpediert worden. Wer würde von dieser Zerstörung profitieren, nachdem es kein Geheimnis war, dass er an einer neuen Methode der Serumproduktion arbeitete?
Doch nur jemand, der am gleichen Projekt forschte und wusste, wie kurz Vincenzo vor dem Erfolg stand, und der ihm möglichst zuvorkommen wollte. Bestimmt gab es kleinere Privatlabore, die ebenfalls versuchten, ein Serum gegen die Vogelgrippe zu entwickeln, aber wer unter den zahllosen Forschern hätte gewusst, wie nahe Vincenzo seinem Ziel war, und obendrein die finanziellen Mittel, zwei Profis anzuheuern, um seine Arbeit zu vernichten?
Vielleicht eines der anderen Labore im Dienst der WHO, die jedes Jahr Grippeseren herstellten?
Andererseits beeinträchtigte der Mord an Salvatore Vincenzos Arbeit überhaupt nicht. Rodrigo hatte schon wenige Tage später Salvatores Platz eingenommen. Nein, der Mord an seinem Vater beeinflusste die Forschungen kein bisschen, demzufolge war eine Verbindung zwischen den beiden Taten unwahrscheinlich.
Das Telefon klingelte. Vincenzo wollte schon aufstehen, aber Rodrigo befahl ihm mit einer Handbewegung zu bleiben; er hatte noch einige Fragen wegen des Serums. Er drückte den Hörer ans Ohr. »Ja?«
»Ich habe eine Antwort auf Ihre Frage.« Wieder nannte der Anrufer keinen Namen, aber Rodrigo hatte Blancs ruhige Stimme beim ersten Wort erkannt. »In unseren Datenbanken war nichts verzeichnet. Dafür sind unsere Freunde auf einen Namen gestoßen. Die gesuchte Person heißt Liliane Mansfield, ist Amerikanerin und Agentin sowie Profikiller.«
Rodrigo stockte das Blut in den Adern. »Sie haben ihr den Auftrag erteilt?« Wenn sich die Amerikaner gegen ihn stellten, würde das die Sache enorm verkomplizieren.
»Nein. Mein Kontaktmann meint, unsere Freunde seien zutiefst verstört und versuchten ebenfalls, sie aufzuspüren.«
Zwischen den Zeilen hörte Rodrigo aus dieser Auskunft heraus, dass die CIA diese Frau ebenfalls finden und eliminieren wollte. Aha! Das erklärte auch, warum ein Amerikaner in ihrer Wohnung gewesen war und nach ihr gesucht hatte. Es war ein angenehmes Gefühl, auch dieses Rätsel geklärt zu haben; Rodrigo wusste gern genau, wie viele Figuren auf dem Schachbrett standen. Höchstwahrscheinlich würden die Amerikaner mit ihren technischen Möglichkeiten und ihren zahllosen Informationen über Liliane Mansfield die Kleine vor ihm finden … aber er wollte sich trotzdem persönlich von der Lösung ihres Atemproblems überzeugen.
Denn solange sie atmete, war sie ein Problem.
»Können Sie es arrangieren, dass Ihr Verbindungsmann alle neuen Erkenntnisse sofort weitergibt?« Solange er genauso viel wusste wie die CIA, konnten ihm die Amerikaner gern die Laufarbeit abnehmen.
»Vielleicht. Da wäre noch etwas, das Sie vielleicht interessiert. Die Frau war sehr eng mit den Joubrans befreundet.«
Rodrigo schloss die Augen. Da war es, jenes eine Detail, das alles erklärte, das alles verband. »Danke«, sagte er. »Bitte sagen Sie mir Bescheid, ob Sie auch die andere Sache mit unseren Freunden klären konnten.«
»Ja, natürlich.«
»Ich hätte gern eine Kopie aller Informationen, die Sie über diese Liliane Mansfield haben.«
»Ich werde sie Ihnen bei nächster Gelegenheit zufaxen«, antwortete Blanc, was anders ausgedrückt bedeutete, dass er das Fax losschicken würde, sobald er zu Hause angekommen war. Er würde unter keinen Umständen etwas aus dem Interpolgebäude an Rodrigo schicken.
Rodrigo legte auf und ließ den Kopf gegen die Sessellehne sinken. Die beiden Ereignisse hingen also doch zusammen, aber nicht so, wie er erwartet hatte. Ein Racheakt. So simpel, und obendrein ein Motiv, das er mit jeder Faser seines Körpers nachfühlen konnte. Salvatore hatte ihre Freunde ermorden lassen, darum hatte sie Salvatore ermordet. Wer auch immer die Joubrans beauftragt hatte, Vincenzos Arbeit zu zerstören, hatte damit eine Kette von Ereignissen ausgelöst, die vorläufig mit dem Tod seines Vaters endete.
»Sie heißt Liliane
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