Moerderische Kuesse
man von außen sehen konnte: Zaun, bewachte Tore, Pförtner. Nachts patrouillierte ein bewaffneter Nachtwächter mit einem Deutschen Schäferhund über das hell erleuchtete Gelände.
Es lag nahe, dass sie es in der Dunkelheit versuchen würde, scheiß auf den Hund. Nachts war zwar alles ausgeleuchtet, es blieben aber trotzdem Schatten, in denen sie sich verstecken konnte. Außerdem waren dann weniger Leute hier, und natürlich musste der Nachtwächter in den Stunden vor der Morgendämmerung gegen den Schlaf ankämpfen. Sie war eine exzellente Schützin und würde Wachmann und Hund mit zwei gut gezielten Betäubungspfeilen ausschalten können.
Nicht sekundenschnell, zugegeben, der Wachmann wäre vielleicht noch in der Lage, zu schreien oder Hilfe zu holen.
Natürlich konnte sie Herr und Hund auch einfach umbringen; wenn sie einen Schalldämpfer verwendete, würden die Kollegen am Tor nichts hören.
Der Gedanke gefiel Swain gar nicht. Eigenartigerweise störte ihn die Vorstellung, dass sie einen Hund abknallte, beinahe noch mehr als der mögliche Tod des Wachmannes.
Swain war ein Hundenarr, und seine Liebe machte nicht einmal vor ausgebildeten Kampfhunden Halt. Bei den Menschen lag die Sache anders; so wie er es sah, hatten es einige durchaus verdient zu sterben. Natürlich nahm er dabei die meisten Kinder aus, auch wenn ihm schon ein paar Kids begegnet waren, ohne die diese Welt eindeutig besser dran gewesen wäre. Er war nur froh, dass seine eigenen Kinder nicht so missraten waren, denn das wäre extrem peinlich gewesen.
Er musste einfach darauf hoffen, dass Lily nicht auf Hunde schoss. Andernfalls würde sein Mitgefühl mit ihr erheblich nachlassen.
Auf der anderen Straßenseite, direkt gegenüber dem Laborgelände, gab es einen hübschen kleinen Park. An warmen Sommertagen fanden sich dort garantiert viele Angestellte aus den umliegenden Geschäften ein, um in der Mittagspause ein wenig in der Sonne zu dösen. Selbst an einem frischen Novembertag wie diesem traf man hier ein paar Unerschütterliche, die ihre Hunde ausführten oder Zeitung lasen; immerhin so viele, dass ein Mann mehr oder weniger nicht auffallen würde.
Die Straßen waren hier breiter als in der Pariser Innenstadt, aber Parkplätze waren immer noch rar. Schließlich fand Swain einen freien Fleck ganz in der Nähe und schlenderte zu Fuß zum Park zurück. Er kaufte sich in einem Cafe einen Becher Kaffee zum Mitnehmen und entdeckte eine Bank in der Sonne, von wo aus er das Kommen und Gehen im Labor verfolgen, sich mit den Tagesabläufen vertraut machen und vielleicht eine Lücke in den Sicherheitsmaßnahmen entdecken konnte, die ihm bis jetzt entgangen war. Wenn er irrsinniges Glück hatte, würde Lily gerade heute das Gleiche tun. Weil er keine Ahnung hatte, welche Kleidung oder welche Perücke sie tragen würde, würde er später eine Runde durch den Park drehen und besonders auf die Nasen und Münder der Parkbesucher achten. Lilys Mund würde er überall wieder erkennen, davon war er überzeugt.
Der Gebäudekomplex mit den Laboratorien wirkte nicht weiter auffällig; die äußeren Sicherheitsvorkehrungen entsprachen denen einer ganz gewöhnlichen Fabrik: ein äußerer Zaun, nur zwei Eingänge, uniformierte Pförtner an den Toren. Alles, was darüber hinausging, zum Beispiel eine Viermetermauer mit Stacheldrahtkrone, hätte nur unnötig Aufmerksamkeit erregt.
Die raffinierteren Sicherheitseinrichtungen, vermutete Lily, befanden sich innerhalb der Gebäude. Fingerabdruck‐ oder Augenscanner vor den Türen zu den sensiblen Bereichen.
Laserstrahlen.
Bewegungssensoren.
Glasbruchsensoren,
Gewichtssensoren und so weiter und so fort. Sie musste herausfinden, wie genau das Gebäudeinnere überwacht wurde, und vielleicht würde sie jemanden anheuern müssen, der diese Systeme austricksen konnte. Sie kannte zwar ein paar Leute aus der Branche, aber sie wollte niemanden ansprechen, den sie kannte. Falls sich herumgesprochen hatte, dass sie seit neuestem persona non grata war, würde ihr keiner helfen wollen.
Vielleicht würden einige sogar aktiv gegen sie Partei ergreifen und interessierten Ohren zuflüstern, wo sie steckte und was sie plante.
In diesem Viertel regierte eine interessante Mischung von ausländischen Läden, trendigen kleinen Boutiquen – als hätte es jemals andere Boutiquen gegeben –, Cafes und billigen Wohnhäusern. Ein kleiner Park gönnte dem Auge Abwechslung vom Grau der Stadt, obwohl die meisten Bäume in Erwartung
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