Moerderische Kuesse
vor?«
»Ja.«
»Ach, wie schön. Meine Laune bessert sich mit jeder Minute.«
Wenn sie noch besser würde, würde sie ihn erschießen müssen, um nicht durchzudrehen.
Er bog wieder ab, schaute sich um und fragte dann nachdenklich: »Scheiße, haben Sie eine Ahnung, wo wir gerade sind?«
Lily lehnte sich mit dem Rücken gegen die Beifahrertür, zog die Beine angewinkelt auf den Sitz, womit sie jeden Versuch unterband, ihr die Pistole wegzuschnappen, und sah sich dann kurz um. »Aber ja. An der nächsten Ampel müssen Sie rechts und dann nach knapp zwei Kilometern wieder links. Ich sage Ihnen Bescheid.«
»Und wo sind wir dann?«
»Am Bahnhof. Dort können Sie mich aussteigen lassen.«
»Ach nein. Wo wir gerade so super miteinander auskommen. Verlassen Sie mich nicht gleich wieder. Ich hatte mir schon Hoffnungen gemacht, dass wir Partner werden könnten.«
»Ohne dass ich Sie vorher überprüft hätte?« Sie sah ihn ungläubig an.
»Das wäre in der Tat ziemlich dämlich.«
»Aber ja, Mann.« Schon nach zehn Minuten mit einem Amerikaner hatte sie ihren alten Slang wieder drauf, fast als wäre sie in ein Paar ausgetretene Pantoffeln geschlüpft. »Wo wohnen Sie? Ich melde mich bei Ihnen.«
»Im Bristol.« Er bog, wie von ihr angezeigt, rechts ab.
»Zimmer siebenhundertzwölf.«
Sie zog die Brauen hoch. »Sie haben einen Jaguar gemietet, Sie wohnen in einem der teuersten Hotels von Paris. Sie müssen einen verflucht guten Job haben.«
»Alle meine Jobs waren bisher gut bezahlt, außerdem brauchte ich einen bewachten Parkplatz für den Jaguar. Ach du Scheiße. Jetzt muss ich einen neuen Wagen mieten, und den hier kann ich nicht so zurückgeben, sonst verhaftet man mich, sobald der Schaden gemeldet wird.«
Sie warf einen Blick auf das zersplitterte Seitenfenster, durch das kalte Luft in den Wagen zischte. »Sie könnten es ganz rausbrechen und dann behaupten, ein Autoknacker hätte es eingeschlagen.«
»Das könnte klappen, aber vielleicht hat jemand meine Nummer notiert.«
»So wie sie durch den Verkehr geschwänzelt sind?«
»Auch wieder wahr, aber wozu ein unnötiges Risiko eingehen? In Frankreich gilt man als schuldig, bis man seine Unschuld nachgewiesen hat. Ich halte mich lieber so weit wie möglich von allen Gendarmen fern, vielen Dank.«
»Wie Sie wollen.« Sie klang vollkommen ungerührt. »Sie müssen schließlich für zwei Mietwagen zahlen.«
»Hören Sie auf, mich zu bemitleiden, sonst glaube ich noch, Sie wollen was von mir.«
Der Wortwechsel entlockte ihr unwillkürlich ein kleines Lächeln. Er nahm sich nicht unbedingt ernst; ob das von Vorteil oder Nachteil war, wusste sie nicht zu sagen, aber unterhaltsam war er auf jeden Fall. Er war ihr praktisch in den Schoß gefallen, als sie gerade zu entscheiden versucht hatte, wen sie zu Hilfe rufen sollte, darum wäre sie verrückt gewesen, ihn von vornherein abzuweisen. Natürlich würde sie ihn überprüfen, und wenn sie nur den leisesten Hinweis auf die CIA oder irgendeine Unregelmäßigkeit fand, würde sie sich einfach nicht mehr bei ihm melden. Sein Verhalten deutete nicht darauf hin, dass er den Auftrag hatte, sie auszuschalten; dabei wurde ihr allmählich etwas leichter ums Herz. Ob er wirklich zu gebrauchen und zuverlässig war, würde sich zeigen müssen. Die Quellen, die sie früher in solchen Fällen bei der Zentrale angezapft hatte, waren für sie versiegt, aber sie kannte ein paar zwielichtige Gestalten, die Erkundungen für sie einziehen konnten.
Sie nutzte die kurze Zeit, die ihr bis zum Bahnhof blieb, um ihn genau in Augenschein zu nehmen. Er sah wirklich gut aus, erkannte sie halb überrascht; während sie sich unterhalten hatten, hatte sie vor allem auf das Gespräch geachtet, nicht auf sein Gesicht. Er war groß, über einen Meter achtzig, und schlank. Seine Hände waren sehnig, von kräftigen Adern durchzogen und mündeten in langen, unberingten Fingern mit kurz geschnittenen, sauberen Nägeln. Seine Haare waren kurz, braun und an den Schläfen leicht silbrig; die Augen waren blau, viel blauer als ihre. Die Lippen etwas dünn, aber wohlgeformt.
Ein starkes Kinn mit einem tiefen Grübchen. Eine scharfe Nase, dünn und mit hohem Rücken. Abgesehen von den wenigen grauen Haaren sah er wahrscheinlich jünger aus, als er war. Sie schätzte ihn auf etwa ihr eigenes Alter, Ende dreißig, Anfang vierzig.
Er war angezogen wie Millionen Männer auf dem europäischen Festland; nichts an ihm war auffällig oder typisch
Weitere Kostenlose Bücher