Mörderische Landschaften - Kriminelles aus dem Osten
Ruhe.«
Alkaida, Stasi und Wahnsinn machen die Runde. Ernste Gesichter nicken. Den Platz verlassen tut keiner, nur hinter die Absperrung tritt man zurück.
»Ich bleibe«, sagt Ilse, »auch wenn ich nichts sehe.«
Ich steige auf meinen Sitzplatz und bekomme Übersicht von der Lage. Die Uniformierten handeln ihren Befehlen gemäß. Es scheint Routine. An den Verkaufsbuden steht kein Mensch, alle hat man aus dem Gefahrenbereich getrieben. Ein Krankenwagen öffnet sein Heck, und Sanitäter heben die Trage. Wahrscheinlich hat ein altes Herz diesen Stress nicht verkraftet. »Bitte bewahren Sie Ruhe!«
»Da sind wir noch jung«, sag ich zu Ilse, als ich ihr davon erzähle.
Sie lächelt und legt ihr Täschchen beiseite.
Ich bitte einen jungen Mann, Ilse seine Hand zu reichen, damit sie neben mir auf der Bank stehen kann. Er hilft galant und hat einen Scherz auf den Lippen. Sie scheint geneigt, sich von ihm forttragen zu lassen.
Da stürmt ein neuer Trupp Polizei durch die Menge. Hunde schnüffeln an Schenkeln und Türen. Menschen erschrecken, rennen und fallen. Es gibt laute Worte. Panik verbreitet sich in Wellen. Bei solchem Aufwand kann es sich nur um Ernstes handeln. Die Bomben sind keine leere Drohung. Es heißt, sie haben verdächtige Personen verhaftet. Und wirklich rennt ein Mann über den Markt. Polizisten hinter ihm her. Hunde bellen. »Bitte bewahren Sie Ruhe.«
Die Menge teilt sich. Ilse krallt sich auf der Bank in meinen Arm. Wir erleben das Chaos hautnah. Nicht nur ein Mann läuft an uns vorbei. Nicht nur ein Bulle hetzt ihm hinterher. Kein Film mit Bruce Willis kann mehr Action zeigen. Kameras fehlen auch hier nicht. Journalisten halten ihre Mikros vor entsetzte Gesichter.
»Mein Gott!«, sagt Ilse.
»War beim Angriff weniger Stress«, sage ich.
Ilse drückt meine Hand. Ich lächle ihr zu. Die Polizei bittet lautstark, den Platz endgültig zu räumen. »Bitte gehen Sie weiter. Gehen Sie weiter, es gibt nichts zu sehen.«
Aber es dauert, ehe sich die Menge zerstreut. Ilse und ich nehmen auf der Bank wieder Platz. Ich stelle mich an der Frittenbude nach Bratwürsten an. Die Aufregung hat sich gelegt. Bei Burger-King hecheln die Hunde zum zigsten Male nach Sprengstoff, den sie nicht finden.
»Zweimal mit Senf.«
Wir Alten mögen weder Mayonnaise noch Ketchup. Der schwarzhaarige Buffettier lächelt und reicht mir die Würstchen. Dieser Imbiss macht gerade den größten Umsatz seit seiner Errichtung. Ich habe solch einen Hunger, dass ich sofort in die Wurst beißen muss. Sie schmeckt lasch, Industrieware und nicht vom Meister privat. Ich denke daran, dass ich für die Kinder noch einkaufen muss. Die vierhundert Gramm Aufschnitt konnte mir die junge Frau nicht mehr packen.
»Alarm«, schrien Polizisten. »Bitte bewahren Sie Ruhe!«
Ilse nimmt mir die Bratwurst ab. »Danke. Es wird mir schwerfallen, diese Action noch steigern zu können. Herrlich, wie du das gemacht hast.«
»Mit Fantasie schafft man alles.«
Es ist ein Wettkampf. Ich habe bereits eine neue Idee, mit der ich Ilse beeindrucken kann. Auf der Kleinmesse geraten die Menschen noch schneller in Stress als beim Einkauf im Stadtzentrum. Dort sind Nudeltopf, Achterbahn und Autoscooter besetzt. Bei der Recherche muss ich nur nach Telefonzelle und Sitzbank sehen. Denn Sitzgelegenheiten müssen sein, Ilse und ich wollen die Hektik in Ruhe genießen. Die Nachmittage im Altenheim können uns so etwas nicht bieten. Den nächsten Alarm wird sie geben. Ich bin gespannt.
»Geil«, sagt die Ilse.
»Gehen wir«, sage ich, »sie bauen schon ab.«
Alle Ossis sächseln
VON DORLE GELBHAAR
Friedhelm Rauchbär marschierte energisch am herbstlichen Strand entlang. Seine Füße hinterließen deutliche Abdrücke im nassen Sand, die von den Wellen getilgt wurden. Er hatte dienstfrei. Doch er konnte nicht einfach abschalten und den Anblick des Meeres genießen. 47 Jahre alt war er am Tag zuvor geworden. Sein Schädel brummte noch infolge des vorabendlichen Gelages. Eigentlich mochte er Geburtstagsfeiern nicht. Es war eine Ausnahme. Eine Ausnahme, die zu denken gab. Seit gestern Abend hatten sich in seinem Brummschädel ein paar Wortfetzen festgemacht, die nicht einmal die Ostsee wegspülen konnte.
»Polizisten haben einen Touristen in Thüringen im Hotel erschossen. Für den Mörder gehalten. Durch die Hoteltür durch. Verdammichnochmal. Wo sind wir denn? In Wild-West? Panik. Schwerstverbrecher. Ausgebrochen in Tegel. Auf der Flucht.
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