Mörderische Landschaften - Kriminelles aus dem Osten
»Ostsee-Zeitung« gesammelt. Die OZ, ehemaliges Organ der Bezirksleitung der SED, gehörte nun schon sehr viele Jahre zum Springer-Konzern. Ein Witz eigentlich. Oder auch nicht. Eilig wühlte er sich durch alte Ausgaben. Aber wonach suchte er überhaupt?
Nach einer ihm von früher her flüchtig bekannten Frau aus Sachsen. Da war sie. Sandra Kirsten. Eine Frau, die manchmal sächselte und an die ihn die Tote vom Strand erinnerte. Schönes blondes, halblanges Haar umrahmte ihr schmales Gesicht. Sie ähnelte der Toten, sogar sehr. Beim Sender »Ostseewelle« hatte sie gearbeitet.
Das Internet! Rauchbär gab ihren Namen als Suchbegriff ein. Etwas zu ihrer Zeit in der DDR war da zu lesen. Das war über zwanzig Jahre her. Sandra Kirsten hatte ein Ferienhäuschen in Ahrenshoop. Dass sie sächseln konnte, hatte sie in einer ihrer Sendungen unter Beweis gestellt: »Ein Sachse liebt das Reisen« war das Motto gewesen.
Rauchbär hörte noch ihre Stimme, wie sie über den Äther zu ihm gekommen war und wie er sie vor Ort gehört hatte. Jeder Laut genau artikuliert. Und immer schwang etwas Besonderes mit. Die Sprache der Kirsten war ein wahres Muster des Hochdeutschen gewesen, obwohl sie dieses weiche Sächsisch sprach, wenn sie wollte. Eine waschechte Sächsin hatte er in ihr vor sich gehabt. Natürlich.
Ähnelte ihr die Tote tatsächlich so sehr, wie er meinte? Sollte er diesem Anders sagen, dass die Verstorbene ihn an die einstige Fernseh-Sprecherin Sandra Kirsten von der »Ostseewelle« erinnerte, obwohl er sich überhaupt nicht sicher war? Nein. Er musste nach Ahrenshoop. Er brauchte zunächst Gewissheit.
Schnell schlüpfte Rauchbär in Hosen und Pullover, warf noch mal einen Blick auf die alte OZ-Ausgabe, verließ das Haus und stieg in seinen Honda. Es war nicht weit nach Ahrenshoop. In der Siedlung am Ortseingang stand das Häuschen der Kirsten. Rauchbär hielt den Wagen an. Da rührte sich doch etwas hinter dem Fenster. Das musste sie sein. Ob er mit ihr sprechen sollte?
Entschlossen verließ er sein Auto und ging auf die Haustür zu. Aus den Augenwinkeln bemerkte er einen Wagen, der vor dem Nachbargrundstück hielt. Rauchbär drückte den Klingelknopf.
Es war jedoch nicht das blonde Idol von ehemals, das ihm die Tür öffnete, sondern ein älterer Herr im fein glänzenden Anzug.
»Rauchbär. Ich möchte zu Frau Kirsten.«
»Bitte, kommen Sie herein.« Der Mann lächelte schmierig. »Sie interessieren sich für die Immobilie?«
Rauchbär sagte nichts und sah sich aufmerksam im Haus um.
»Meyerlein«, stellte sich der Mann im edlen Zwirn vor. »Und da kommt auch schon die Hausherrin.«
Das Haus war von einem Duft erfüllt, der Rauchbär das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ.
»Ich bereite gerade das Essen vor«, sagte die blonde Dame mit ihrer unnachahmlichen Stimme. »Broiler, wie früher.«
»Hähnschen«, korrigierte Meyerlein und Rauchbär musterte ihn irritiert.
»Sie sind ein überzeugter Ostsee-Ossi, wie?«
Meyerlein griente.
»Mecklenburger bin ich, wenn Sie es genau wissen wollen«, knurrte Rauchbär.
»Ich kenne den Begriff Broiler auch. Ebenso wie ich weiß, wie eine echte Soljanka schmeckt. Und was ein Hähnchen ist. Ein Hähnschen.« Meyerlein musterte Rauchbär. »Darf ich erfahren, was genau Sie zu uns führt?«
»Herr Rauchbär interessiert sich sicher für diese Immobilie. Bestimmt hat ihn Inger daraufhin angesprochen«, sagte Sandra Kirsten.
Meyerlein wirkte überrascht. »Deine Nichte? Wieso das denn?«
Rauchbär sah sich im Raum um. Eine Nichte hatte sie also. Aber nirgendwo war ein Familienfoto zu entdecken, auf dem die Tote vom Strand zu sehen gewesen wäre. In der Wohnstube stapelten sich Koffer und Reisetaschen.
»Wieso nicht? Inger hat doch immer –«, warf die Kirsten ein. Doch der feine Meyerlein unterbrach sie.
»Habt ihr das Häuschen feilgeboten, ohne mit mir zu sprechen?«
Rauchbärs Blicke wanderten weiter im Raum umher. Die Einrichtung wirkte alt und abgenutzt. Sandra Kirsten hatte wohl keine nennenswerten Einnahmen gehabt in den vergangenen Jahren.
»Sie schauen sich um. Das wäre richtig …«, verkündete Herr Meyerlein, »wenn denn das Haus noch zu verkaufen wäre. Ich denke, wir richten uns jetzt doch auf Dauer hier ein, nicht wahr, Sandra?«
»Ja, wenn du meinst.«
Rauchbärs Blicke tasteten noch immer nach Hinweisen durch den Raum. Sie wollte also doch nicht verkaufen. Ein Missverständnis? Oder war das ihr Lover? Dieser unangenehme Bursche.
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