Mörderische Landschaften - Kriminelles aus dem Osten
eingeladen. Wir hatten Zeit, uns die Utensilien für die Verwirklichung unseres Planes zu besorgen, kauften im Baumarkt Krokodilklemmen und Bananenstecker.
Am Donnerstag verging die Zeit schleichend, bis wir endlich Dienstschluss hatten. In Herrn Dr. Grands Hausflur roch es nach mit Frühlingsblumenduft gewischten Fußböden. Wir schleppten unseren Werkzeugkoffer die vier Treppen zum Boden hoch und waren froh, dass uns niemand gesehen hatte. Der Schlüssel passte in die Bodentür. Ich öffnete sie, aus dem Dunkel schlug uns ein muffiger Geruch entgegen.
Anke Schmitt schob den Koffer hinein, ich tastete nach dem Lichtschalter. Dann sahen wir sie: die Eisenbahnanlage! Sie umfasste in ihrer Fläche fast den gesamten Dachboden. Ringsherum war nur ein knapp ein Meter breiter Weg freigelassen. Wir liefen um sie herum und sahen unser Land en miniature, Dörfer mit Kirchen, Hochhäuser in Städten, Berge und Seen, dazwischen Straßen. Das Landschaftsbild war von zahllosen Schienen durchzogen. Auf ihnen standen Züge im Dornröschenschlaf, die auf die Weiterfahrt warteten.
Aber zum Spielen hatten wir keine Zeit und machten uns an die Arbeit. Anke Schmitt packte das Werkzeug aus. Ich fand den alten Sicherungskasten und drehte die Sicherung heraus. Wir zogen die Stromleitungen aus dem Trafo, führten sie unter dem Gehäuse des Trafos durch, drehten sie in Bananenstecker und verbanden sie mit Krokodilklemmen. Diese klemmten wir direkt an die Stromschienen der Eisenbahn, auf der hinteren Seite, die vom Reglerpult verdeckt wurde.
Herr Dr. Grand würde hochrot schwitzen und spucken und an Herzversagen danieder sinken. Dann könnten wir wieder deutsch miteinander reden, würden die ruhigen Altzeiten ohne Vorträge über Modellbahnen aufleben lassen, uns auf Gehaltserhöhungen freuen und meinen Namen richtig ausgesprochen hören: »Beifuß!«, mit der Betonung auf der ersten Silbe.
Als wir die Sicherung wieder eingesetzt und das Werkzeug eingepackt hatten, verwischten wir ringsherum unsere Spuren im Staub, schlossen die Tür hinter uns und liefen ungesehen durchs Treppenhaus.
Am Freitag lebte Herr Dr. Grand noch. Er rief uns zusammen und erklärte: »Der Dachboden ist nicht ganz sauber, aber wir werden schon unseren Spaß haben, also Samstag um 10.00 Uhr sehen wir uns bei mir. Ich habe auch noch eine Überraschung für Sie!«
Wir wussten, seine Überraschung würde die riesige Anlage sein. Dass wir die größere Überraschung bereithielten, würde er leider nicht mehr würdigen können.
Am Samstagvormittag versammelten wir uns mit den Kolleginnen des Dezernates vor dem Haus und stiegen zum Dachboden herauf. Herr Dr. Grand hatte uns kommen hören und öffnete uns von innen die Tür. Wir schoben uns nacheinander an der Vorderseite der Anlage entlang, bis wir alle einen guten Blick auf das weitläufige Modell hatten. Herr Dr. Grand begrüßte uns und sagte, mit einer verschwörerischen Geste in die Ecke des Raumes weisend: »Ich will Sie nicht länger auf die Folter spannen und Ihnen gleich die Überraschung präsentieren. Ich habe mir gedacht, dass es Sie doch freuen würde, noch einmal ihren alten Chef zu sehen. Habe mich mal mit ihm getroffen, ging ja damals alles ziemlich schnell mit seinem Ruhestand. Und dass er so ein Spezialist für TT-Bahnen ist, war ja eine schöne Fügung. Nun komm schon, Karl!« Er blickte zur Seite.
Aus der Ecke tauchte ein dünner Mann mit gebeugtem Rücken ins Licht, und da erkannten wir ihn: Herr Reimann stand vor uns, musterte uns kurz, ließ sich von Herrn Dr. Grand gönnerisch auf die Schulter klopfen und guckte dann auf die Eisenbahn. Wäre er damals nicht so wortkarg gewesen, hätten wir erfahren können, dass er Modelleisenbahnen liebte. Während sich unsere Kolleginnen freuten, standen Anke Schmitt und ich schreckstarr da. Als Herr Dr. Grand den Strom anstellte und Herr Reimann ganz dicht an die Platte herantrat, schrien wir beide: »Nein!«
Aber da hatte sich Herr Reimann schon ans Herz gefasst und drehte sich im Fallen halb zu uns um, ohne ein Wort gesagt zu haben.
Die Sache war klar. Der Kommissar führte uns ohne Handschellen ab.
Poker für die Mumie
VON THOMAS NOMMENSEN
Ludger Holbein erkannte sofort, was der Junge vorhatte. Wie der Kleine seine Hand zum Gesicht führte, sich dann kurz zur Seite drehte – eindeutig. Holbein hatte einen Blick für so etwas, fuhr aber in seinem Vortrag fort und ließ sich nichts anmerken.
»Ritter Christian
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