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Mörderische Landschaften - Kriminelles aus dem Osten

Mörderische Landschaften - Kriminelles aus dem Osten

Titel: Mörderische Landschaften - Kriminelles aus dem Osten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sutton Verlag GmbH
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doch bitte schön nicht in sie hineingezogen werden.
    »Ich«, rief der grandiose Fremde laut triumphierend und spuckte mir auf die Tagesseite meines Kalenders vom 13.   Januar, »bin Ihr neuer Chef. Unter meiner Regie werden wir alle bei Fuß«, dabei blickte er zu mir herunter, »tatkräftig gemeinsam die Verwaltung umbauen und an die neuen Erfordernisse anpassen.« Dann holte er kurz Luft und drehte sich zu Anke Schmitt herum: »Schmalspur ist erst nach Feierabend, Sie wissen, Frau Schmitt, TT, ha ha!«, und sprühte beim Reden Nebel auf ihren Notizblock. Dann begab er sich wieder zur Stirnseite des Tisches und fuhr fort: »Ach ja, Ihren Abteilungsleiter Herrn Reimann habe ich beurlaubt, es wird ja jetzt sowieso alles anders, soll er sich ausruhen, seinen Vorruhestand genießen, in der freien Welt schön Auto fahren, war ja immer eingesperrt.«
    Unser Chef fährt kein Auto, dachte ich wütend und flüsterte Anke Schmitt ins Ohr: »Wenn sein Spucken von Helicobacter pylori kommt, könnten wir ihn bald los sein.«
    Nach dem Abitur wollte ich gern Medizin studieren, aber mein Notendurchschnitt führte mich statt zu den Modellen aufgeklappter Herzen in die trockene Welt der Verwaltungslehrbücher.
    Medizin blieb mein Hobby, die Beschäftigung mit medizinischen Fachbegriffen wurde zu meiner Leidenschaft. Im Büro begegnete ich Anke Schmitts Begeisterung für französische Gelehrte gern mit Vorträgen über Krankheiten und den bei ihnen ansetzenden modernen Heilverfahren. Und so hatte ich für Herrn Dr.   Grand nach seinem Spucken gleich die passende Krankheit parat: ein Geschwür des Magens oder gar Zwölffingerdarms, verursacht durch Stäbchenbakterien, das ihn früher oder später außer Gefecht setzen und uns unseren Frieden und Herrn Reimann zurückbringen würde. Zwar konnte Anke Schmitt mit Helicobacter nichts anfangen, aber die Aussicht auf ein Büroleben in den gewohnten Bahnen ließ sie doch erleichtert aufseufzen.
    Aber es kam anders. Herr Dr.   Grand verwaltete zuerst sich selbst und stufte sich zwei Besoldungsgruppen höher ein. Dann strukturierte er uns um. Aus unserem Kollektiv wurde ein Team, aus der Abteilung ein Dezernat und aus der Assistentin des Abteilungsleiters eine Referentin.
    Aus uns Kolleginnen wurden Teamer, und wir trafen uns jeden Montag um Viertel nach neun statt viertel zehn zum Jour   fixe statt zur Sitzung.
    Die Apfelsinen, die wir uns danach in der Kantine griffen, hießen fortan Orangen. Warum wir uns aber statt Broiler Hähnchen auf den Teller legen lassen sollten, war uns beiden nicht klar, und wir fragten Herrn Dr.   Grand, der schnaufend hinter uns stand, an einem kalten Wintermontag, warum Englisch doch so erwünscht, hier aber verbannt werden sollte. Wir rückten zur Kasse vor und so blieb ihm eine Antwort erspart. Obwohl wir uns an den letzten Tisch in der von einer angestaubten Sansevieria verdeckten Ecke platzierten, entdeckte uns Herr Dr.   Grand und setzte sich ungefragt hinzu. Er teilte sein tellergroßes Steak in wenige Teile und verschlang es wie eine Schlange ein Kaninchen nach einem halben Jahr Esspause. Kurz holte er Luft und erzählte uns von seinem geplanten nächsten Ausflug zu einer Modelleisenbahnausstellung nach Berlin: »Lichtenberg, ist ja nun auch freier Osten.«
    Ich schnitzte an meiner Hühnerkeule herum und guckte zu Anke Schmitt.
    Ihre stahlblauen Augen funkelten ihn an, sie griff sich in ihre goldgelben, langen Haare und wickelte sie vor ihrem Mund zu einem Bündel. In der Kantine wurde es still. Unsere Kolleginnen warteten gespannt, ob wir die Beherrschung verlieren und uns dem Leitwolf zum Fraße vorwerfen würden.
    Als Anke Schmitt ihm antwortete: »Hm, interessant, wonach suchen Sie denn da?«, wusste ich, dass sie einen Plan hatte. Herr Dr.   Grand sah sie erfreut an und schwärmte von seinen Modellen aus der DDR-Zeit, Barkas, Wartburg, Ikarus, mit denen er die Straßen entlang der Eisenbahnlinien schmückte.
    »Jetzt hole ich mir noch einen Trabant   P50, bekommt man ja mit Westgeld ohne Anmeldung, ha ha.« Sein lautes Lachen schallte einsam durch den Raum. Und da er sich nun aufmerksamer Zuhörerinnen gewiss war, redete er unbekümmert weiter. Wir erfuhren, dass Herr Dr.   Grand in einem Stadtfelder Mietshaus wohnte und sich auf dem großen, wenn auch leicht feuchten Dachboden, in den es immer mal wieder hineinregnete, ausgebreitet hatte: »Und damit ich das alles unterbringen kann, habe ich den Dachboden bei mir ausgebaut, einen Floor,

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