Mörderische Landschaften - Kriminelles aus dem Osten
Petra bemerkte nichts und redete fröhlich weiter. »Sie fährt tatsächlich seit zehn Jahren wieder nach Kukuk. Ein richtiger Campingfreak ist sie geworden. Warte mal. Sie steht sogar genau neben euch. Der Wagen mit dem roten Streifen, siehst du?«
Grit schaute hinüber, war aber mehr damit beschäftigt, sich ihren Schreck nicht anmerken zu lassen. Hätte sie gewusst, dass Inga da war, wäre sie nicht gekommen. Verstohlen beobachtete sie Erik, ob er bei Ingas Namen reagierte.
Pokerface, er hatte ein Pokerface. Nichts zu sehen.
Grit lächelte und bemühte sich, die Fassung zu wahren. Hoffentlich sah man ihr nichts an. Sie würde ihre Hände festhalten müssen, wenn Inga auftauchte. Damit sie ihr nicht ins Gesicht schlug. Seit Jahrzehnten verfolgten sie die Bilder von damals: Der Bootssteg, wo ihr nackter Mann mit einer ebenso nackten Frau beschäftigt war. Kaum war Grit am Anfang des Stegs erschienen, war die Frau nixengleich im Wasser verschwunden. Inga!
Und jetzt tauchte die wirklich auf und nahm auch einen Weißen Traum. Wie schön sie immer noch aussah! Inga war einfach etwas Besonderes. Langes, lockiges Haar, um das Grit sie früher schon beneidet hatte. Gute Zähne, auch das etwas, wovon Grit nur träumen konnte. Gealtert war sie kaum! Nicht zu fassen! Und wieder schaute diese Schönheit Erik so fest in die Augen. Grit hatte nach jener Nacht nur eins gewollt: Niemand sollte davon erfahren! Nicht einmal Petra hatte sie es erzählt, obwohl sie sonst keine Geheimnisse voreinander hatten. Sie spürte, dass sie schlürfte, und im nächsten Moment fiel ihr auf, dass der Weiße Traum schon alle war. So schnell hatte sie getrunken?
Inga und Erik. Und es ging schon wieder los. Inga stand jetzt auf und beugte sich über Erik hinweg, um an eine Verlängerungsschnur zu gelangen, in die sie eine Partylichterkette einsteckte. Ihre Brust berührte kurz seine Stirn, und er schloss die Augen.
»Ist noch zu hell für die Lichterkette«, sagte Inga, beugte sich noch einmal über Erik und zog den Stecker der Lichterkette wieder heraus. Auch dieses Mal schloss er die Augen, als ihre Brust seine Stirn berührte. Diese unverschämte Inga! Und offenbar war sie alleine hier, ohne Mann. Also war sie auf der Jagd, so wie früher.
»Noch einen?«, fragte Petra und zeigte auf Grits leeres Glas.
»Lieber nicht«, sagte sie und ließ sich stattdessen etwas Wasser einschenken. In einem einzigen Weißen Traum waren immerhin drei Schnäpse. Sie starrte Inga an, die fast in Eriks Augen versank und mit den Brüsten wackelte und lachte.
Diese unverschämte Person hatte ihr damals Weckgläser gestohlen. Wie durch Zauberhand verschwand stets ein Drittel der eingeweckten Pilze. War die nicht überhaupt kleptoman gewesen? Natürlich! Ein edler West-Badeanzug war von der Leine der Nachbarn verschwunden, ein Paar Sandaletten von Petra aus dem »Exquisit«, Größe 36, und genau diese Größe hatte auch Inga. Damals waren Gold- und Silbergürtel modern gewesen, man bekam sie in Polen auf dem Markt. Grits Silbergürtel war aus dem Zelt verschwunden. Inga nahm sich eben immer alles, was sie haben wollte. Und Erik würde sie sich auch wieder schnappen, bestimmt. Blitzartig sah Grit die beiden in ihrer Fantasie vor sich, auf dem Steg im Mondlicht. Ihren Mann und Inga, nackt, aufeinander, ineinander.
Oh nein, dieses Mal würde sie es nicht wieder so weit kommen lassen! Bloß, was sollte sie tun? Abreisen? Wie sollte sie das Erik beibringen?
»Ich geh mal ein bisschen spazieren«, sagte sie, stellte das Glas weg und entfernte sich. Erik bekam schon gar nicht mehr mit, dass sie ging, er hatte nur noch Augen für Inga!
Grit fiel in einen wütenden, stampfenden Gang und zwang sich dann aber, ruhig zu gehen. Sie lief zuerst ziellos umher, links am Klein Pritzer See entlang, rechts am Klein Pritzer See entlang, nahm eine Pension wahr, an deren Fassade »Zum Kukuk« stand, und wurde immer wütender. Vergessen war, dass sie sich das Westernrestaurant und den Minigolfplatz ansehen wollte. Sie sah gar nichts und grübelte nur.
Als sie sich langsam wieder zum Wohnwagen mit den schmatzenden Fischen schlich, musste sie sehen, dass Inga inzwischen Eriks Hand in ihrer hielt und offenbar versuchte, aus den Linien darin zu lesen.
Grit setzte sich wieder und nahm ihr Wasserglas auf.
»Wo warst du so lange?«, fragte Petra.
»Ich vertrag’ nichts mehr. Musste mir die Beine vertreten. Hab mich ein bisschen umgesehen. Und an die alten Zeiten gedacht. Mensch,
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