Moerderische Schaerennaechte
unterwegs.«
»Wie heißt Ihre Tochter?«
»Wilma.« Jonas lächelte, als er den Namen aussprach. »Sie ist dreizehn und geht in die siebte Klasse.«
Er grub mit der Hand in seiner Gesäßtasche und holte sein Handy hervor. Nachdem er ein paar Tasten gedrückt hatte, erschien auf dem Display ein fröhliches Gesicht. Eine sonnengebräunte Dreizehnjährige mit glatten blonden Haaren und ein bisschen zu viel Wimperntusche.
»Die ist ja süß.«
»Ja, das ist sie.«
Der Stolz in Jonas’ Stimme war nicht zu überhören.
»Sie sieht Ihnen ähnlich«, sagte Nora.
»Die Augenpartie vielleicht, aber die Haarfarbe hat sie von ihrer Mutter.«
Eine Frau mit einem großen Labrador überholte sie, und Nora nickte ihr zu. Das Gesicht kam ihr bekannt vor, sie konnte nur nicht genau sagen, woher. Aber der Hund war hübsch.
»Schönes Haus, in das Sie eingezogen sind«, sagte Jonas. »Wie alt ist das eigentlich?«
»Die Brand’sche Villa? Über hundert Jahre. Es ist eines der ältesten Häuser auf der Insel. Lotsenmeister Carl Wilhelm Brand hat sie gebaut, als die alte Windmühle der Insel versetzt wurde.«
»Deshalb heißt der Platz Kvarnberget, Mühlenberg?«
»Genau. Carl Wilhelm Brand hat gleich zugeschlagen, als die Mühle abgebaut wurde.«
»Es ist eine echte Landmarke, das Haus ist das Erste, was man sieht, wenn man sich der Einfahrt nach Sandhamn nähert.«
»Das war damals ein richtiges Klatschthema. Er hat es sich ordentlich was kosten lassen, der Herr Lotsenmeister. Er hatte sogar eine Badewanne auf Löwentatzen. Sie können sich vorstellen, wie im Ort darüber geredet wurde.«
Jonas lächelte sie an.
»Die Lage ist jedenfalls fantastisch.«
»Mir gefällt das Haus sehr, aber es erfordert eine Menge Arbeit. Ich begreife nicht, wie Tante Signe es geschafft hat, das alles alleine instand zu halten.«
»Tante Signe?«
»Die Vorbesitzerin, sie war Carl Wilhelm Brands Enkelin.«
Nora biss sich auf die Zunge, sie hatte keine Lust zu erklären, wie das alles zusammenhing. Dass Signe, die so etwas wie eine zweite Mutter für Nora gewesen war, Selbstmord begangen und ihr das Haus vermacht hatte. Henrik hatte es verkaufen wollen, aber Nora hatte sich geweigert. Sie hatten heftig darüber gestritten, und im Nachhinein erkannte sie, dass dies der Anfang vom Ende ihrer Ehe gewesen war.
»Sie hat mir das Haus anvertraut, könnte man sagen«, fügte sie schließlich hinzu.
»Ich verstehe.«
Jonas räusperte sich. Anscheinend hatte er ihren Stimmungsumschwung bemerkt, denn er blieb stehen, schaute auf das glitzernde Meer hinaus und wechselte das Thema.
»Es ist wirklich ein wunderschöner Tag.«
Ein Vogelschwarm hob sich schwarz gegen den hellblauen Himmel ab.
Nora betrachtete ihren Untermieter verstohlen. Wie alt er wohl war? Seine Tochter war in Adams Alter, also musste er früh Vater geworden sein. Er sah nicht viel älter aus als dreiunddreißig, oder vielleicht fünfunddreißig.
Er war auch nicht besonders groß, nur ein paar Zentimeter größer als sie. Henrik war fast ebenso hochgewachsen wie Thomas, und der maß barfuß eins vierundneunzig. Es war ein ungewohntes Gefühl, neben einem Mann zu gehen, der fast gleich groß war.
Unwillkürlich fragte sie sich, ob er wohl fand, dass sie älter aussah. Ob er sich vorstellen konnte, dass sie vor ein paar Monaten vierzig geworden war?
»Und Sie sind Juristin?« Jonas’ Stimme beendete ihre Grübeleien. »Wenn ich mich recht erinnere, erwähnten Ihre Eltern etwas in der Richtung.«
»Ja. Ich bin Justitiarin bei einer Bank.«
»Gefällt es Ihnen dort?«
Sie musste nachdenken. Gefiel es ihr dort?
Zwei Jahre zuvor war ihr eine interessante Stelle als leitende Justitiarin für die Region Malmö angeboten worden. Sie hatte abgelehnt, weil Henrik nicht aus Stockholm wegziehen wollte. Sie arbeitete immer noch an ihrem alten Arbeitsplatz und hatte immer noch denselben Chef, von dem sie nicht gerade begeistert war. Aber sie hatte nicht die Nerven, sich zusätzlich zu dem ganzen Scheidungsstress auch noch einen neuen Job zu suchen. Außerdem mochte sie ihre Kollegen und ihren Arbeitsbereich.
»Es ist okay. Ich bin schon ziemlich lange dort. Eigentlich wird es wohl Zeit, dass ich mir etwas Neues suche, aber ich habe mich noch nicht ernsthaft darum gekümmert.«
»Bestimmt bieten sich andere Möglichkeiten.«
Statt einer Antwort bückte Nora sich, um ihre Schnürsenkel zu binden, die aufgegangen waren. Sie spürte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen. Andere
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