Moerderische Schaerennaechte
Ich habe mehr als genug zu tun und keine Zeit, mich für studentische Hausarbeiten ausfragen zu lassen.«
Eine Andeutung von Bedauern blitzte in Robert Cronwalls Augen auf.
»Wie lange dauerte Ihr Gespräch mit Marcus Nielsen?«, fragte Thomas.
»Es war sehr kurz. Er rief an und sagte, er schreibe an einer Hausarbeit für die Uni und würde mir gern ein paar Fragen stellen. Ich habe abgelehnt, und dann legten wir auf. Ein paar Minuten, mehr nicht.«
Robert Cronwall sah auf seine Armbanduhr.
»Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden, wir geben heute Abend ein Essen für unseren Rotary Club, und es gibt noch viel zu tun. Ich bin der Vorsitzende der Rotarier hier in Lidingö, da hat man gewisse Verpflichtungen.«
Er sprach den letzten Satz in einem Tonfall aus, dass Thomas sich fragte, ob er erwartete, dass sie jetzt Haltung annahmen.
Der Mann mit den silbergrauen Haaren erhob sich, um deutlich zu machen, dass das Gespräch für ihn beendet war.
»Es tut mir leid, dass der junge Mann nicht mehr lebt«, sagte er, »aber ich kann Ihnen wirklich nicht mehr sagen.«
»Nur noch eine letzte Frage«, hakte Thomas ein. »Kennen Sie Jan-Erik Fredell?«
Robert Cronwall strich sich mit der rechten Hand übers Kinn.
»Ich weiß nicht, da klingelt bei mir nichts. Ich kann mir Gesichter besser merken als Namen.« Er zuckte mit den Schultern. »Wer soll das sein?«
»Er war Sportlehrer, allerdings seit einigen Jahren wegen Krankheit frühpensioniert«, sagte Thomas. »Er ist ebenfalls tot. Wir glauben, dass es möglicherweise eine Verbindung zwischen ihm und Marcus Nielsen gibt.«
»Tut mir leid, ich kann ihn nirgends unterbringen.«
Margit zog ihre Visitenkarte aus der Tasche und reichte sie Cronwall.
»Bitte rufen Sie uns an, falls Ihnen noch etwas einfällt.«
»Eine ganz andere Frage«, sagte Thomas. »Wie heißt das Musikstück, das lief, als wir kamen?«
Cronwall blieb stehen.
»Das war Franz Liszt, ›Liebestraum No. 3‹. Es heißt, dass er für jede Geliebte ein Stück geschrieben hat, und er hatte ja bekanntermaßen so einige.«
Als sie in die Diele kamen, sah Thomas die Dame des Hauses, Birgitta Cronwall, durch die offene Küchentür. Sie hob grüßend die Hand, kam aber nicht heraus, um sie zu verabschieden.
Das Letzte, was er sah, ehe sie das Haus verließen, war ihr gebeugter Rücken über etwas, das wie Lammbraten aussah.
Tagebucheintrag November 1976
Heute Vormittag waren wir draußen im Südgelände. Plötzlich sagte der Uffz, dass wir uns in einer Reihe hintereinander aufstellen sollten. Er spannte ein Seil auf und befahl uns, hinüberzuspringen, einer nach dem anderen. Als wir unsere plumpen Sprünge absolviert hatten, lachte er uns direkt ins Gesicht.
»Ihr habt soeben das Mittagessen übersprungen«, sagte er grinsend.
Tatsächlich bekamen wir bis zum Abendessen keine Verpflegung.
Abends spielten wir Karten auf der Stube.
»Na los, Andersson«, sagte Eklund, während er die Karten austeilte. »Du bist der Einzige, der noch keine Weibergeschichten zum Besten gegeben hat.«
Eklund markiert gerne den Abgebrühten. Er warf uns anderen einen vielsagenden Blick zu.
»Aber vielleicht hast du ja noch keinen Stich gelandet?«
Eklund redet oft so derb. Sein Vater ist Schlachter, und er hat in der Schlachterei mitgearbeitet, seit er ein Teenager war. Eklund prahlt gerne damit, dass er weiß, wie man in der Wildnis überlebt. Du fängst dir ein Karnickel, sagt er. Hältst es an den Löffeln fest und haust ihm mit ’nem Knüppel eins vor die Rübe. Wenn die Augen raustreten, ist es tot. Dann musst du nur noch das Fell abziehen und es zerlegen. Und nicht vergessen, das Gedärm rauszunehmen, sonst schmeckt das Fleisch nach Scheiße.
Er gibt gerne derartige Kommentare ab.
Andersson lief bis über die Ohren rot an. Er erinnert mich an meinen fünf Jahre jüngeren Bruder, wenn ich ihn mit irgendwas aufziehe. Dieselbe Unfähigkeit, was wegzustecken, und derselbe Frust, wenn ihm nicht schnell genug eine passende Antwort einfällt.
Ich habe nie gehört, dass Andersson von einem Mädchen erzählt hätte. Das einzige Foto, das er bei sich hat, ist von seiner Mutter. Sie sitzt im Gras und umarmt Anderssons kleine Schwester. Ich habe es in seinem Spind gesehen, als er mal vergessen hatte, ihn ordentlich abzuschließen.
»Hat dich überhaupt schon mal eine rangelassen?«, sagte Eklund und wollte sich totlachen. »Na los, erzähl.«
Plötzlich stand der Uffz in der Tür. Das Gelächter verstummte sofort,
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