Mörderische Verstrickungen
kapierte ich.
»Ihre Tante Pearl. Sie war ein Schlangensektenmitglied?«
|127| Betsy nickte. »Die gutherzigste, freundlichste Person, die je gelebt hat. Sie und mein Vater waren in einer strengen Baptistenfamilie groß geworden, so wie Susan und ich auch. Aber Tante Pearl wollte mehr. Sie war nicht zufrieden mit dieser ›verwässerten Religion‹, wie sie es nannte. Zumindest äußerte sie das Susan gegenüber. Die erzählte mir einmal, Tante Pearl habe gesagt, sie wolle Gott berühren.«
Indem sie mit Schlangen herummachte? Aber ich nickte.
Betsy griff erneut nach dem Salzstreuer. »Ich hatte keine Ahnung von dem, was Tante Pearl so trieb, meine Eltern wahrscheinlich schon, aber sie sagten uns nie etwas. Selbst nachdem sie gestorben waren und ich an Weihnachten oder in den Frühjahrsferien nach Hause kam, hielten Susan und Tante Pearl die Vorgänge vor mir geheim.«
Sie blickte auf. »Ich weiß nicht, warum Tante Pearl nie versucht hat, mich zu bekehren. Jedenfalls hat sie es nicht probiert. Nur Susan.«
»Sie waren älter. Und Ihre Überzeugungen schon gefestigt.«
»Wahrscheinlich.« Betsy brachte ein Lächeln zuwege. »Oder vielleicht wusste sie einfach, welche Angst ich vor Schlangen hatte.«
Das Lächeln verblasste. »Aber wissen Sie, eigentlich ist das ja Teil des Ganzen. Man hat Todesangst und hantiert dennoch mit ihnen herum, weil man denkt, dass einen der Glaube schützt.«
»Was Susan glaubte.«
Betsy nickte. »Was Susan glaubte. Und Tante Pearl ebenfalls. Sie starb nur drei Jahre nach meinen Eltern. Kehlkopfkrebs. Aber zu der Zeit war Susan bereits mit Ethan verheiratet. Sie heiratete ihn, als sie siebzehn war. Sie hat |128| ihn in der Kirche kennengelernt, klar. Er war Monk Crawfords Sohn.«
Tränen rollten plötzlich über Betsys Gesicht. Sie griff nach einer Papierserviette und drückte sie auf ihr Gesicht.
»Tut mir leid, Mrs Hollowell. Es macht mich ganz fertig, dass Susan nicht mehr bei uns ist.«
»Standen Sie sich nahe?«
Sie nickte, die Serviette immer noch auf ihre Augen gepresst.
»Trotz alledem. Wir sprachen einfach nicht über diesen Teil ihres Lebens.« Betsy zerknüllte die Papierserviette und sah aus dem Fenster. »Mit einer Ausnahme. Als Ethan ums Leben kam, bat sie mich, mich um die Kinder zu kümmern, falls ihr etwas passieren sollte. Was bedeutete, dass sie an den Schlangen festhalten wollte. Und nach dem, was Ethan zugestoßen war, wusste sie weiß Gott, wie gefährlich das war.«
Susan war nicht durch eine gefährliche Klapperschlange ums Leben gekommen. Aber ich sagte nichts.
»Und natürlich sagte ich Ja. Ich liebe diese Kinder mehr als alles auf der Welt. Terry ebenso.«
»Haben Sie auch eigene Kinder?«
»Das sind jetzt unsere.« Ein schwaches Lächeln und ein kurzes Wischen mit der Serviette unter den Augen. »Tut mir leid. Ich weiß, ich bringe Sie in Verlegenheit. Wollen Sie, dass wir uns an einen der Tische draußen setzen?«
»Sie bringen mich nicht in Verlegenheit. Machen Sie sich deswegen keine Gedanken.«
Betsy seufzte. »Ich weiß, dass Sie es nicht verstehen können. Ich verstehe es ja selbst nicht, aber Susan war in vieler Hinsicht ein so vernünftiger Mensch. Und so liebevoll.«
Nein, ich konnte solch ein Bedürfnis, solch einen religiösen |129| Eifer nicht verstehen. Was hieß es wohl, wenn man Gott berühren wollte? Hielt man da eine Schlange hoch? Ich zitterte.
Sie riefen unsere Nummer auf, und Betsy sagte: »Ich gehe.«
Ich sah ihr nach, wie sie das Tablett holte und Servietten und Plastiklöffel aus der Theke nahm. Sie sah wie ein Kind aus, stellte ich fest, mit diesem langen Zopf, der fast bis zu ihrem Jeansbund reichte. Sie hatte ihre Jeansjacke über die Lehne ihres Stuhls geworfen, und ihre schlichte gelbe Bluse hob ihre Zierlichkeit noch hervor.
»Jetzt kann’s losgehen.« Betsy stellte die Schale mit der Suppe vor mich hin und reichte mir einen Löffel und eine Serviette. »Ich denke, es wird Ihnen schmecken. Es ist aber so heiß, dass Sie vielleicht ein wenig Eis hineingeben wollen.«
Wir schaufelten beide mit den Plastiklöffeln Eis aus unserem Tee und ließen es in unsere Suppe plumpsen. Es schmolz unverzüglich.
»Arbeiten Sie, Betsy?«, fragte ich.
Sie nickte. »Bei der Telefongesellschaft. Ich habe gestern mit ihnen telefoniert, und ich denke, ich kann Erziehungsurlaub nehmen. Sie gestatten das bei außergewöhnlichen Umständen.«
Sie reichte mir einen Korb mit Kräckern.
»Die werden sicherlich überrascht sein,
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