Mörderische Verstrickungen
Ich kann nicht bis nach Birmingham runterkommen, wegen der Kinder. Meine Nachbarin kann eine Weile auf sie aufpassen, aber nicht den ganzen Nachmittag. Und ich möchte Sie ungern bitten, nach Steele zu kommen. Denken Sie, wir könnten uns vielleicht in Springville treffen? Vielleicht zum Mittagessen?« Sie zögerte. »Ich würde Sie nicht darum bitten, wenn es nicht wichtig wäre.«
Ich sah auf die Wanduhr: neun Uhr fünfzehn.
»Betsy, ich weiß nicht. Ich muss vielleicht mit meiner Schwester zusammen noch mal nach Oneonta fahren.«
»Mrs Hollowell. Ich muss wirklich mit Ihnen sprechen.« Betsys Stimme wurde leise. Sie flüsterte fast. »Es gibt da etwas, das mir Angst macht.«
Angst? Weshalb in aller Welt? Und warum wollte sie mich sprechen? Das ergab keinen Sinn. Ich hatte die junge Frau erst einmal gesehen.
»Bitte.« Ihre Stimme versagte, und ein fast unhörbares Schniefen war zu vernehmen. Betsy weinte.
Damit hatte sie mich. Das alte Hilf-den-Kindern-aus-der-Patsche-Lehrerinnensyndrom machte sich bemerkbar.
|122| »Wo in Springville?«, fragte ich. Alle meine Pläne für den Tag schwanden dahin. Im Haus sah es furchtbar aus. Ich musste dringend staubwischen und staubsaugen. Ich hatte nach wie vor weder alle Wäsche gewaschen noch alle Rechnungen bezahlt, die sich angestapelt hatten in der Zeit, als wir in Warschau waren. So weit zu den guten Vorsätzen.
»Wissen Sie, wo die Bäckerei an der Hauptstraße neben der Bibliothek ist?«
»Stehen da nicht ein paar Tische draußen?«
»Genau. Sie servieren dort auch Suppe und Sandwiches. Meinen Sie, wir könnten uns dort gegen zwölf treffen?«
»Ich werde da sein.«
»Danke, Mrs Hollowell. Ich danke Ihnen so sehr.«
Wir verabschiedeten uns, und ich legte auf. Warum, um alles in der Welt, hatte ich mich darauf eingelassen? Wie konnte ich dieser jungen Frau helfen? Alles, was ich über sie wusste, war, dass sie hübsch war, langes rotes Haar hatte und um ihre mit Schlangen herumhantierende ermordete Schwester trauerte. Und dass sie vor etwas Angst hatte.
»Wovor hat sie Angst?«, wollte Schwesterherz wissen, als ich sie anrief und ihr erzählte, wohin ich fuhr. »Und was denkt sie, dass du tun kannst, Maus?«
»Keine Ahnung. Aber sie sagte mir, sie habe vielleicht eine Information bezüglich Virginia.«
»Nun, das hoffe ich. Richard ist jetzt auf dem Weg hoch nach Oneonta, um nach seinem Vater zu schauen. Er wollte, dass ich ihn begleite, aber ich habe ihm gesagt, ich müsse auf Fay und May aufpassen.«
»Richardena, das Kindermädchen, ist doch da, oder?«
»Ja, natürlich. Aber Debbie kommt heute Nachmittag |123| mit David Anthony nach Hause. Ist das nicht unglaublich: am einen Tag ein Baby zu bekommen und am anderen schon nach Hause zu gehen?«
Ich wusste, dass Schwesterherz ihren Kopf genauso schüttelte wie ich den meinen. Jede von uns hatte den Luxus von vier Tagen Krankenhaus gehabt, als unsere Kinder geboren wurden.
»Jedenfalls«, fuhr sie fort, »muss ich die Zwillinge auf ihren kleinen Bruder vorbereiten.«
Ich entschied, dass ich über diese Vorbereitungen nichts wissen wollte. Keine anderen zwei Kinder waren jemals so gut auf die Ankunft eines Geschwisterchens vorbereitet worden. Dafür hatten Debbie und Henry gesorgt. Ich erzählte ihr also, dass ich sie anrufen würde, wenn ich zurück sei, um ihr zu erzählen, was Betsy zu sagen hatte.
Es gab nach wie vor überall Spuren von Weihnachten, Kränze an der Tür, ein paar auf den Dächern balancierende Weihnachtsmänner. Reklametafeln an den Böschungen wünschten uns weiterhin FROHE FEIERTAGE, ebenso die Sprecher der lokalen Fernsehstationen – alle lächelnd und in roten Anzügen. In einigen Häusern, das wusste ich, standen noch die erleuchteten Weihnachtsbäume. Im Februar würden sie mit Ostereiern, Hühnern und Osterhasen geschmückt sein.
Weihnachten verabschiedete sich weder schnell noch für lange Zeit aus Birmingham. Am 4. Juli legte es vielleicht eine Pause ein, die lang genug war, um sich das Feuerwerk zum Nationalfeiertag vom Vulcan Park aus anzuschauen.
Ich fuhr durch die Innenstadt über die Malfunction Junction, wo mehrere Autobahnen aufeinandertrafen und es an diesem Tag wundersamerweise kein Unglück gab, an |124| der Abfahrt zum Flughafen vorbei auf die Interstate 59 in Richtung Norden. Es war nicht viel Verkehr, und obwohl von Westen her Wolken aufzogen, schien die Sonne bei etwa fünfzehn Grad. Später würde es regnen, am nächsten Tag kalt werden und sich
Weitere Kostenlose Bücher