Mörderische Weihnacht
den Vorsatz voraus, und diese Kinder antworten so gut sie können. Sie haben die besten Absichten dabei.«
»Das Vergehen«, erklärte Jerome pompös, »besteht in der Nachlässigkeit und der Unaufmerksamkeit, die sie dazu brachte, unvollkommene Antworten zu geben. Wer aufmerksam lauscht, kann auch fehlerfrei antworten.«
»Nicht, wenn sie schon Angst haben«, schnappte Bruder Paul und floh aus Furcht vor seinem eigenen Zorn vor dem Streit. Jerome bot immer wieder sein frommes Gesicht als Zielscheibe an, und Paul, der wie die meisten großen, starken Männer mit den Hilflosen, wie etwa seinen jüngsten Schülern, erstaunlich zart und vorsichtig sein konnte, war sich nur zu gut bewußt, was seine Fäuste mit einem Gegner seiner eigenen Größe anrichten konnten - ganz zu schweigen von einem winzigen Geschöpf wie Jerome.
Es dauerte noch mehr als eine Woche, bis Abt Radulfus von dieser Angelegenheit erfuhr, und auch da war es eine relativ unbedeutende Klage, welche die Sache in Bewegung brachte.
Denn Vater Ailnoth hatte Jordan Achard, den Bäcker der Vorstadt, öffentlich beschuldigt, untergewichtige Brote zu liefern, und Jordan, der sich in seiner Berufsehre verletzt sah, war willens, die Anklage um jeden Preis abzuwehren.
»Und glücklich kann er sein«, erklärte Erwald der Stadtvorsteher energisch, »daß man ihm den einzigen Vorwurf gemacht hat, den jeder Mensch in der Vorstadt als unzutreffend beschwören kann. Mag er sonst in seinem Leben jedes Unrecht begehen, aber er mißt ehrlich ab. Würde man ihm vorwerfen, daß er der Vater von ein oder zwei unehelichen Kindern in dieser Gegend ist, dann hätte ich allen Grund, mich zurückzuhalten, aber er backt gutes Brot, und er hat noch nie beim Wiegen betrogen. Es ist mir ganz und gar unverständlich, wie der Priester zu diesem Urteil kommt, aber Jordan will Blut sehen, und er spricht mit flinker Zunge zugleich für jene, die weniger kühn sind.«
So bat der Vorsteher der Vorstadt, unterstützt von Jordan dem Bäcker und zwei weiteren Würdenträgern der Gemeinde, am achtzehnten Dezember bei Abt Radulfus im Kapitel um Audienz.
»Ich habe Euch in meine Privatgemächer gebeten«, erklärte der Abt, nachdem sie sich auf seinen Wunsch ins Sprechzimmer zurückgezogen hatten, »damit die
Alltagspflichten meiner Brüder nicht gestört werden. Denn ich sehe, daß Ihr einiges zu erörtern habt, und ich möchte, daß Ihr frei sprechen könnt. Nun, wir haben Zeit genug. Herr Vorsteher, Ihr habt meine Aufmerksamkeit. Ich wünsche genau wie Ihr der Vorstadt nichts als Wohlstand und Glück.«
Die Benutzung der höflichen Anrede, auf die Erwald offiziell kein Anrecht hatte, war als freundliche Einladung gemeint und wurde von Erwald auch genauso aufgenommen.
»Vater Abt«, begann Erwald ernst, »wir sind zu Euch gekommen, weil wir mit der Amtsführung Eures neuen Priesters nicht ganz glücklich sind. Vater Ailnoth hat seine Aufgaben in der Kirche, und er kommt ihnen getreulich nach, und in dieser Hinsicht können wir uns nicht über ihn beklagen. Aber wenn er sich unter uns in der Gemeinde bewegt, können wir sein Benehmen nicht gutheißen. Er hat in Frage gestellt, ob Aelgar, der für ihn arbeitet, ein freier Mann oder ein Leibeigener ist, ohne einen von uns zu fragen, die wir doch genau wissen, daß er frei ist. Er hat Aelgar veranlaßt, einen Teil des Landes seines Nachbarn Eadwin ohne dessen Wissen oder Erlaubnis zu pflügen. Er hat Herrn Jordan hier beschuldigt, untergewichtige Brote zu liefern, obwohl wir alle wissen, daß dies falsch ist.
Jordan ist bekannt dafür, daß er gutes Brot backt und gerecht abwiegt.«
»Das ist wahr«, erklärte Jordan eifrig. »Ich habe meine Backöfen von der Abtei gepachtet, ich arbeite auf Eurem Land, und Ihr kennt mich seit Jahren. Ihr wißt, wie stolz ich auf mein Brot bin.«
»Mit Recht«, stimmte Radulfus zu, »denn es ist gutes Brot.
Fahrt fort, Herr Vorsteher, es gibt gewiß noch mehr zu berichten.«
»Mein Herr, so ist es«, sagte Erwald sehr ernst. »Ihr habt vielleicht schon gehört, welch strenges Regiment Vater Ailnoth in seiner Schule führt. Die gleiche Strenge zeigt er gegenüber den Jungen der Gemeinde, wann immer er einige von ihnen zusammen sieht und sobald sie einen Schritt vom Weg abweichen - und Ihr wißt ja, wie die Jungen sind. Er ist allzu freigebig mit seinen Schlägen, und er hat Gewalt angewendet, wo es unserer Meinung nach nicht nötig war. Die Kinder haben Angst vor ihm. Das ist nicht gut, wenn
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