Mörderische Weihnacht
blickte Cadfael ernst und mit leichtem Stirnrunzeln an, legte den Lockenkopf etwas schräg und runzelte in ungewohntem Ernst die braune Stirn, als hätte man ihn ohne Vorwarnung mit einer unbequemen Frage konfrontiert, die ihn plötzlich erkennen ließ, daß er schon vor langer Zeit hätte über sie nachdenken müssen, wäre er nicht eifrig mit anderen Dingen beschäftigt gewesen.
»Tante Diota war mehr als drei Jahre bei ihm«, sagte er nachdenklich, »und soweit ich weiß, hat sie sich nie über ihn beklagt. Ich hatte nur auf dem Weg hierher mit ihm zu tun, und ich war dankbar, daß er mich mitnahm. Er ist sicher kein Mann, mit dem ein Diener wie ich rasch warm wird, aber ich hütete meine Zunge und tat alles, was er mir auftrug, und er behandelte mich gerecht.« Benets Überschwenglichkeit kehrte wie eine Bö des Westwindes zurück und blies seine Zweifel fort. »Ach, hier ist er in seiner neuen Arbeit ebenso unerfahren wie ich in der meinen, aber er wird sich durchbeißen, wo ich mich eher sanft einschleiche. Laßt ihn nur, er wird schon die Füße auf den Boden bekommen.«
Er hatte natürlich recht; ein neuer Mann, der fremd und unsicher an einen Ort kommt, der ihm noch nicht gewogen ist, braucht Zeit, um Luft zu holen, und um den anderen beim Atmen zu lauschen. Doch als Cadfael sich an seine eigene Arbeit machte, mußte er ständig an die Predigt denken - halb wilder Traum, halb Tag des Jüngsten Gerichts, mit gewandten Worten vorgetragen, beginnend mit der reinen Luft eines kaum zugänglichen Himmels, und endend mit der genauen Beschreibung einer sehr nahen Hölle.
»… jene Hölle, die eine Insel ist, auf ewig umgeben von vier Ozeanen, den vier Wächterdrachen der Verdammten: zuerst das Meer der Bitterkeit, dessen Wellen heißer brennen als die Höllenfeuer im Lande selbst; das widerspenstige Meer, das den Schwimmer bei jedem Zug und den Ruderer bei jedem Schlag ins Feuer zurückwirft; das Meer der Buße, entstanden aus den Tränen aller Verdammten, und das einzige Meer, durch welches die Flucht für einige wenige möglich ist, da eine einzige Träne unseres Herrn, vergossen über die Sünde, einst in die feurigen Fluten fiel und überdauerte und das ganze Meer für jene kühlte und beruhigte, welche Vollkommenheit und Vergebung erlangen…«
Eine schwer zu gewinnende und beängstigende Gnade, dachte Cadfael, während er einen Balsam für die Brüste der alten, hinfälligen Männer in der Krankenstation anrührte.
Menschlich waren diese Alten und fehlbar wie er selbst, und sie würden nicht mehr lange in dieser Welt bleiben. Eine Gnade, die man kaum als solche bezeichnen durfte!
3
Die erste kleine Wolke, die sich am heiteren Himmel über der Vorstadt zeigte, zog herauf, als Aelgar, der seit jeher die Felder des Priesters bestellt und den Bullen und den Eber der Pfarrei versorgt hatte, bedrückt zu Erwald dem Stellmacher kam, um ihm ein Kümmernis zu berichten. Er kam eher besorgt als mit Auflehnung im Sinn und beklagte sich, sein neuer Herr habe Zweifel angemeldet, ob sein Diener ein freier Mann oder ein Leibeigener sei. Denn über eines der entfernteren Felder hatte es kurz vor Vater Adams Tod einen kleinen Streit gegeben, und es war zwischen Priester und Diener noch nicht geklärt gewesen, wem das Stück Land gehörte, als Adam starb. Hätte er noch gelebt, wäre man leicht zu einer freundschaftlichen Vereinbarung gekommen, denn Adam war gewiß kein gieriger Mann gewesen, und über seine Mutter hatte Aelgar zudem einen berechtigten Anspruch auf das Land. Doch Vater Ailnoth hatte mit unerbittlicher Genauigkeit darauf bestanden, daß der Fall vor Gericht verhandelt werden müsse und hinzugefügt, daß Aelgar vor dem Gericht des Königs wohl einen schweren Stand haben würde, da er kein freier Mann, sondern ein Leibeigener sei.
»Dabei weiß doch jeder«, erklärte Aelgar bekümmert, »daß ich kein Leibeigener, sondern ein freier Mann bin und schon immer war. Er aber sagt, meine Verwandten seien Leibeigene, da mein Onkel und mein Vetter auf dem Gut von Worthin einen Hof haben, den sie schon lange für ihren Herrn bestellen, und das sei Beweis genug. Und es stimmt, denn der jüngere Bruder meines Vaters, der kein eigenes Land hatte, nahm das Lehen freudig an, als es frei wurde, und erbot sich, dafür zu dienen, aber dennoch wurde er frei geboren wie alle meine Verwandten. Ich neide ihm oder der Kirche nicht das Stück Land, wenn es ihr wirklich gehört, aber wenn er nun den Fall vor Gericht
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