Mörderische Weihnacht
wünschen kann. Ihr könnt nicht wissen, wie sie war! Sie konnte niemandem eine Bitte abschlagen, wenn es in ihrer Macht stand, sie zu erfüllen. Und die Männer fanden es heraus, und da sie sich nicht schämte - denn Sünde war ein Wort, das sie ohne Verständnis aussprach - , konnte sie auch nicht zu Männern nein sagen. Sie ging mit einem Mann, weil er gerade traurig war oder weil er sie gebeten hatte, oder weil man ihn beschuldigt oder ungerecht geprügelt hatte und mit der Welt haderte. Und dann, immer danach, fiel ihr ein, daß es vielleicht doch eine Sünde war, wie Vater Adam ihr erklärt hatte, wenn sie auch den Grund nicht einsah. Und dann eilte sie in Tränen aufgelöst zur Beichte und gelobte Besserung, und sie meinte es ernst. Vater Adam war nachsichtig mit ihr, denn er sah, daß sie anders war als die anderen jungen Frauen. Er sprach immer freundlich und gerecht mit ihr, erlegte ihr eine leichte Buße auf und verweigerte ihr nie die Absolution. Und immer versprach sie sich zu bessern, aber dann vergaß sie es wieder, wenn sie die leichte Zunge eines Jungen hörte, oder wenn sie dunkle Augen sah, und sündigte abermals, um abermals zu beichten und freigesprochen zu werden. Sie konnte nicht von den Männern lassen, aber sie konnte auch nicht ohne den Segen und den Trost der Kirche leben. Als ihr die Tür vor der Nase geschlossen wurde, ging sie einsam fort, um einsam zu sterben. Und so sehr sie mich im Leben auch quälte, sie war auch eine Freude, und nun habe ich nur noch die Qual und keine Freude mehr - bis auf diese schreckliche Freude in der Wiege. Schaut nur, sie schläft!«
»Ihr wißt nicht, wer der Vater des Kindes ist?« fragte Cadfael brütend.
Die Frau schüttelte den Kopf, und ein schwaches, trockenes Lächeln spielte um ihre Lippen. »Nein. Sobald sie begriff, daß es Schande über ihn bringen konnte, wer auch immer es war, verschwieg sie es sogar mir. Falls sie überhaupt selbst wußte, wer von ihnen sie geschwängert hatte! Aber ich glaube, sie wußte es. Sie war nicht verrückt und auch nicht dumm. Sie war sogar klüger als die meisten, abgesehen von diesem bißchen Vorsicht, das ihr abging. Sie hätte den Mann selbst zur Rede stellen können, aber sie hätte ihn niemals dem schwarzen Priester verraten. Oh, er hat sie gefragt! Er bedrohte sie, er fuhr sie an, aber sie sagte, sie wolle nur für ihre eigenen Sünden geradestehen und büßen, aber die Sünden eines anderen Mannes seien seine eigenen, und die müßte er auch selbst gestehen.«
Eine gute Antwort! Cadfael erkannte es mit einem Nicken und einem Seufzen an.
Die Kerze war abgekühlt und hart. Er steckte sie wieder in den Ranzen und wandte sich zum Gehen. »Also, wenn sie wieder jammert und Ihr mich braucht, dann gebt mir über Cynric Bescheid oder richtet es am Torhaus aus, dann werde ich kommen. Aber ich glaube, der Trank wird ausreichen.« Die Hand schon auf den Türriegel gelegt, blickte er noch einen Augenblick zurück. »Welchen Namen habt Ihr dem Kind gegeben? Eluned nach der Mutter?«
»Nein«, sagte die Witwe. »Eluned hat den Namen noch selbst ausgewählt. Gott sei Dank konnte Vater Adam sie noch taufen, bevor er krank wurde und starb. Sie heißt Winifred.«
Als Cadfael allein durch die Vorstadt zurückging, hallte dieses letzte Wort in seinem Kopf noch. Die Tochter der Ausgestoßenen und Exkommunizierten war also anscheinend nach der Heiligen der Stadt benannt, was im Grunde Beweis genug war für Eluneds ungebrochenen Glauben. Die heilige Winifred mochte wissen, wie man die beiden am besten behütete, das lebende Kind und die tote Mutter, die von der Gemeinde von St. Chad erheblich großzügiger und gnädiger aufgenommen worden war als von Vater Ailnoth, denn man hatte sie anständig bestattet und im Zweifel, trotz der Umstände ihres einsamen Todes, christliches Wohlwollen an den Tag gelegt. Sie waren ein starker Menschenschlag, diese walisischen Frauen, die in Familien aus Shropshire einheirateten. Er wußte nichts über den englischen Förster, den verstorbenen Gatten der Witwe Nest, aber sie mußte es gewesen sein, die dem unglücklichen Kind jene schlimme Schönheit vererbt hatte, welche ihr Untergang geworden war, und eine prophetische Vision zeigte, daß sie durch die kleine Winifred in ihrer Wiege ein zweites Mal dieses Gesicht sehen würde. Vielleicht war die Wahl dieses verehrten Namens eine tapfere Geste gewesen, um ein Geschöpf zu schützen, das sonst verwaist und ungeschützt geblieben wäre, eine
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