Mörderische Weihnacht
beinahe wie ein nächtlicher Himmel schienen. Sie sah ihn und schenkte ihm ein Lächeln, das viel zu alt für ihre paar Lebenswochen schien.
Zwar verzog sie das Gesicht gleich wieder und stieß einen Warnschrei aus, aber die Vision späterer Schönheit blieb.
»So eine Range!« sagte die Großmutter liebevoll empört.
»Sie mag es!«
Cadfael füllte den kleinen Löffel zur Hälfte und legte ihn sachte an die Unterlippe des Kindes, und sofort ging der Mund auf und zeigte sich bereit, das Angebot zu schlucken. Die Arznei ging sauber hinunter und hinterließ nur einen kleinen Glanz auf den entspannten Lippen. Sie blickte ihn einen Moment aus Augen an, die unter der gerunzelten Stirn und dem braunen Haarflaum fast ihr halbes Gesicht einnahmen. Dann drehte sie den Kopf etwas in das flache Kissen, rülpste herzhaft und lag still mit halb geschlossenen Lidern, während ihre unendlich winzigen Finger sich unter dem Kinn zu kleinen Fäusten ballten.
»Ihr fehlt nichts weiter, macht Euch keine Sorgen«, sagte Cadfael, während er die Flasche wieder zustöpselte. »Wenn sie nachts aufwacht und schreit, weil sie wieder Schmerzen hat, dann gebt ihr noch einmal einen kleinen Löffel, wie ich es getan habe. Aber ich glaube, sie wird schlafen. Gebt ihr etwas weniger zu essen als bisher und versetzt die Milch mit zwei oder drei Tropfen dieser Arznei. In ein paar Tagen werde ich noch einmal sehen, wie es ihr geht.«
»Was ist da drin?« fragte die Witwe, während sie neugierig die Flasche betrachtete, die er ihr gegeben hatte.
»Dill, Fenchel, Minze, eine Spur Mohnsamen… und Honig, damit es schmeckt. Verwahrt es gut und benutzt es, wie ich es Euch erklärte. Wenn sie noch einmal Schmerzen hat, dann gebt ihr noch einmal die gleiche Dosis wie ich. Wenn sie ohne Arznei zurechtkommt, dann gebt ihr nur ein oder zwei Tropfen ins Essen. Arzneien wirken besser, wenn man sie nur benutzt, wo sie wirklich gebraucht werden.«
Er blies den mitgebrachten Kerzenstummel aus und wartete, bis er abgekühlt und verhärtet war, denn er konnte sicher noch etwa eine Stunde brennen und würde ihm noch einige Male zum gleichen Zweck dienen. Sofort tat es ihm wieder leid, daß er das Licht im Raum gedämpft hatte, denn erst jetzt hatte er Muße, die Frau wirklich anzusehen. Dies war also die verwitwete Mutter des Mädchens, das als unverbesserliche Sünderin aus der Kirche gewiesen worden war. Man hatte ihrer Bußfertigkeit nicht geglaubt und ihr die Beichte verweigert und sie deshalb mit Recht zurückgewiesen. Aus diesem kleinen, dunklen Haus war eine lebenslustige Schönheit erblüht, hatte Früchte getragen und war gestorben.
Die Mutter mußte vor einigen Jahren selbst sehr hübsch gewesen sein. Sie hatte immer noch anmutige Gesichtszüge, wenn auch jetzt in der Mutlosigkeit von Sorgenfalten gezeichnet, und ihr ergrauendes, streng zurückgekämmtes Haar war immer noch voll und hatte einen Schatten der früheren vollen, rotbraunen Färbung behalten. Man konnte nicht sehen, ob die dunklen, tiefliegenden Augen, die jetzt das Enkelkind, diese bittere Last der Liebe, musterten, dunkelblau waren, aber es mochte sein. Wahrscheinlich war sie höchstens vierzig. Cadfael hatte sie ab und zu in der Vorstadt gesehen, ohne jedoch besonders auf sie zu achten.
»Ein schönes Kind habt Ihr da«, sagte Cadfael. »Sie wird zu einem wunderschönen Mädchen heranwachsen.«
»Besser, sie wäre häßlich und unansehnlich«, sagte die Witwe mit unvermittelter Heftigkeit, »als daß sie nach der Schönheit ihrer Mutter schlägt und den gleichen Weg nimmt.
Wißt Ihr, wer der Vater ist?«
»Aber dieses kleine Geschöpf, das sie hinterließ, trifft keine Schuld«, sagte Cadfael. »Ich hoffe, die Welt behandelt sie besser als die Mutter.«
»Es war nicht die Welt, die sie verstieß«, erwiderte die Frau.
»Es war die Kirche. In der Bosheit der Welt hätte sie leben können, aber nicht, nachdem der Priester sie aus der Kirche warf.«
»Hat ihr denn der Glaube wirklich so viel bedeutet«, fragte Cadfael ernst, »daß sie exkommuniziert nicht hätte leben können?«
»Allerdings. Ihr kanntet sie ja nicht! Wild und ungestüm und schön war sie, aber so ein strahlendes, freundliches Wesen hier im Haus, und trotz ihrer Wildheit leicht verletzbar. Sie, die es nicht ertragen konnte, einem anderen Geschöpf wehzutun, war selbst so leicht zu verwunden. Aber trotz der Dinge, die sie nicht ändern konnte, war sie mir die liebste und süßeste Tochter, die man sich nur
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