Mörderische Weihnacht
Frau in einer fremden Welt, in der eine allzu treffliche Vereinigung von Schönheit und Großmut nur Kummer brachte.
Dort in der Hütte, die er gerade verlassen hatte, lebte ein Mensch, der jeden Grund hatte, Ailnoth zu hassen und ihn vielleicht sogar getötet hätte, wenn es durch einen Gedanken möglich gewesen wäre; doch die Witwe war ihm kaum in der Winternacht gefolgt, um ihn von hinten niederzuschlagen, ganz zu schweigen davon, ihn betäubt in den Teich zu werfen. Sie hatte daheim ein kleines Geschöpf zu behüten und zu schützen. Aber das rachedurstige Feuer in ihren Augen mochte einen Mann dazu treiben, es um ihretwillen zu tun, falls sie einen so engen und entschlossenen Freund hatte. Unter all den Männern, die in Eluneds Armen vor der Bosheit der Welt Zuflucht gesucht hatten, konnte vielleicht mehr als einer sein, der bereit und willens war. Und ganz besonders, wenn er wußte, was er gesät hatte, und daß er der Vater der kleinen Winifred war.
Wenn es so weitergeht, dachte Cadfael, leicht erzürnt über seine Voreingenommenheit, dann halte ich gleich nach jedem ansehnlichen Mann Ausschau, ob ich nicht in seinem Gesicht etwas finde, das einen Mörder verrät. Ich kümmere mich am besten um meine eigenen Pflichten und überlasse die Vergeltung der Amtsgewalt Hugh - auch wenn der alles andere als dankbar dafür ist.
Er näherte sich dem Torhaus und hatte gerade den Eingang der gewundenen Gasse erreicht, die zum Haus des Priesters führte. Dort blieb er stehen, als er plötzlich bemerkte, daß sich die schwere Wolkendecke gehoben hatte.
Ein schwaches Glühen der Sonne lugte hindurch. Nicht gerade strahlend und klar in einem bleichen Winterhimmel, sondern schüchtern und widerwillig durch unordentliche, wallende Wolkenfetzen. Die glitzernden, schillernden Eiszapfen und die Flecken von gefrorenem Schnee an den Traufen nahmen eine weichere, feuchte Helligkeit an. Hier und dort, wo die schüchterne Sonne einen Giebel erreichte, fiel sogar ein Tropfen Schmelzwasser herunter. Cynric mochte mit seiner Voraussage recht haben; vielleicht würde es über Nacht tauen.
Dann konnten sie wenigstens Ailnoth aus der Kapelle holen und unter die Erde bringen, wenn auch sein unheildrohender Schatten noch lange unter ihnen bleiben würde.
Er hatte keine Eile, in die Abtei und zu seiner Hütte zurückzukehren, und eine halbe Stunde mehr oder weniger schadete nicht. Cadfael kehrte in die Gasse zurück und ging zum Haus des Priesters. Er war sich über seine Motive, die ihn zu diesem Besuch veranlagten, nicht ganz im klaren. Gewiß war es seine Pflicht, sich zu vergewissern, ob Frau Hammets Wunde ordentlich verheilt war und daß durch den Schlag auf den Kopf kein Schaden zurückblieb, aber es War zum Teil auch reine Neugier, die ihn drängte. Zudem war sie eine Frau, deren Haltung zu Vater Ailnoth ausgesprochen zwiespältig gewesen sein mochte; hin und hergerissen zwischen Dankbarkeit für die Arbeit, die ihr Status und Sicherheit gewährte, und der Verzweiflung über seine wütende Abscheu gegenüber der Täuschung, welcher er zum Opfer gefallen war; jedenfalls dann, wenn sie wußte, daß er es herausgefunden hatte und darauf brannte, ihren Pflegling bloßzustellen und ins Gefängnis zu werfen. Cadfaels Meinung über Diota ging dahin, daß sie zwar beträchtliche Ehrfurcht und Angst vor ihrem Herren hatte, daß sie aber andererseits viel für den Jungen riskieren würde, den sie aufgezogen hatte. Aber jedes Mißtrauen ihr gegenüber verflog rasch, als er sich erinnerte, in welchem Zustand sie am Weihnachtsmorgen gewesen war. Mit ziemlicher Sicherheit hatte sie, wie auch immer ihre Befürchtungen in der ängstlich durchwachten Nacht gewesen sein mochten, nicht gewußt, daß Ailnoth tot war, bis die Sucher mit der Leiche zurückkehrten. So oft Cadfael sich auch sagte, daß er sich in diesem Glauben täuschen konnte, verwarfen seine eigenen Erinnerungen die Zweifel.
Kurz hinter dem Haus des Priesters öffnete sich die Gasse zu einem kleinen Grasflecken, der jetzt ein Kreis aus zertrampeltem Rauhreif war, durch welchen hier und dort grünes Gras in kleinen, unverwüstlichen Büscheln lugte.
Diesem kleinen Spielplatz gegenüber lag die glatte, fensterlose Hauswand, welche die jungen Ballspieler zu deren Verderben immer wieder anzog. Ein halbes Dutzend Rangen aus der Vorstadt spielten gerade. Sie rollten Schneebälle und warfen sie auf ein ehrgeizig weit entferntes Ziel, das am Rand der Wiese auf einen Zaunpfahl gesteckt war.
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