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Mörderische Weihnacht

Mörderische Weihnacht

Titel: Mörderische Weihnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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die Hand auf die Schulter des Mannes vor ihm, denn die bisher Vorsichtigen hatten jede Vorsicht aufgegeben und strömten ins offene Tor.
    Der entsetzte und empörte Aufschrei, der sich plötzlich zwischen den Abteimauern erhob, ließ ihn wie angewurzelt stehenbleiben und warf ihn beinahe mit roher Gewalt durch das Tor zurück. Eine Männerstimme, die protestierend heulte und den Himmel als Zeugen für seine Unschuld anrief. Nicht Diota!
    Nicht Diota, sondern ein Mann!
    »Mein Herr, ich schwöre Euch, daß ich nichts davon weiß…ich sah den ganzen Tag und die ganze Nacht keine Spur von ihm. Ich war daheim, das kann Euch meine Frau bestätigen! Ich habe noch nie einem Mann etwas zuleide getan, und einem Priester schon gar nicht… Jemand hat gelogen, damit ich verhaftet werde! Herr Abt, so wahr Gott mich hier sieht…«
    Der Name des Mannes wurde durch die Reihen zu Ninian getragen.
    »Jordan Achard… es ist Jordan Achard… man hat Jordan Achard verhaftet…«
    Ninian zitterte und hatte, überwältigt von dieser Entwicklung, völlig seinen Schutz vergessen und die Kapuze des geborgten Umhangs von seinem Kopf gleiten lassen. Sie lag jetzt in Falten auf seinen Schultern. Hinter ihm hielten die Hufe inne und scharrten leise im dünnen, getauten Schlamm.
    »He, Bursche!«
    Der Stiel einer Peitsche wurde ihm kräftig in den Rücken gestoßen. Er fuhr erschrocken herum und blickte ins Gesicht des Reiters, der sich aus dem Sattel eines guten Braunen zu ihm herunterbeugte. Ein großer, rötlicher, sehniger Mann von etwa fünfzig Jahren, nach Kleidung und Zaumzeug seines Pferdes recht wohlhabend, mit der Autorität eines Edelmannes in Gesicht und Stimme. Ein gut geschnittenes Gesicht war es, bärtig und mit starken Zügen, das mit den Jahren etwas fleischig geworden war und seine straffen, klaren Linien zu verlieren begann, aber trotzdem ein Gesicht, an das man sich erinnerte. Der kurze Augenblick, den sie einander anstarrten, wurde durch einen zweiten ungeduldigen, aber nicht unfreundlichen Stoß mit dem Peitschenknauf an Ninians Schulter unterbrochen. Der Mann befahl herrisch:
    »Ja, du bist gemeint, Bursche! Halte mein Pferd, während ich drinnen bin, es soll dein Schaden nicht sein. Weißt du, was da los ist? Da ist ja ein schöner Lärm.«
    Erleichtert, da Diota außer Gefahr war, fand Ninian sofort zu seinem unbekümmerten Strahlen zurück. Er neigte gehorsam den Kopf, griff willig nach dem Zaumzeug und war wieder der mittellose Bauernbursche Benet. »Ich weiß es nicht genau, Herr«, erwiderte er, »aber einige da drin sagen, ein Mann wäre verhaftet worden, weil er den Priester ermordet hätte…« Er strich dem Pferd beruhigend mit einer Hand über die seidige Stirn und kraulte die aufgestellten Ohren, und der Braune schüttelte den Kopf, streckte ihm die warmen, neugierigen Nüstern entgegen, blies ihm seinen warmen Atem ins Gesicht und nahm erfreut die Zärtlichkeiten an. »Ein schönes Tier, Herr!
    Ich will gut auf ihn aufpassen.«
    »So, der Mörder ist also gefaßt? Dann haben die Gerüchte zur Abwechslung einmal der Wahrheit entsprochen.« Der Reiter sprang aus dem Sattel und war in wenigen Augenblicken in der wogenden Menge verschwunden wie eine scharfe Sichel im Gras. Seine kräftigen Schultern und seine befehlsgewohnte Stimme halfen ihm, sich Durchlaß zu verschaffen. Ninian stand mit der linken Wange an den Nüstern des Pferdes. Gefühle brodelten wild in ihm: Belustigung und Dankbarkeit und die freudige Vorahnung auf eine Reise, die er jetzt frei von allem Bedauern und allen Vorbehalten antreten konnte; doch es blieb auch ein kleines, bitteres Körnchen zurück, weil der Mann zur Unzeit gestorben war und nun ein anderer des Mordes an ihm angeklagt wurde. Er brauchte eine Weile, bis ihm einfiel, sich die Kapuze über den Kopf zu ziehen und weit nach vorn zu schieben, um sein Gesicht zu verdecken, aber glücklicherweise blickten alle wie gebannt auf den Tumult im Friedhofsgarten.
    Niemand achtete auf einen Burschen, der auf der Straße das Pferd seines Herrn hielt. Das Pferd war eine ausgezeichnete Deckung, aber es verhinderte zugleich, daß er durch die offene Türe hineinging, und selbst wenn er seine Ohren anstrengte, konnte er kaum etwas von dem Stimmengewirr drinnen verstehen. Das Getöse empörter Proteste ging noch eine Weile weiter, das war klar, und die schrillen Kommentare der Zuschauer verrieten, wie geteilt die Ansichten waren. Wenn eine vernünftigere Stimme sprach, ob Hugh Beringar oder Abt,

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