Mörderische Weihnacht
dann ging sie im allgemeinen Chaos unter.
Ninian lehnte die Stirn an das warme Fell, das unter der Berührung leicht zitterte, und sprach ein stilles Gebet der Dankbarkeit für eine so günstige Lösung des Falles.
Mitten im Tumult hob Abt Radulfus seine Stimme, die nur selten so donnern mußte, und der Donner zeigte sofort Wirkung.
»Schweigt! Ihr bringt Schande über Euch und entweiht diesen heiligen Ort. Schweigt, sage ich!«
Und es herrschte Schweigen, ein plötzliches, tiefes Schweigen, das dennoch sofort wieder im Chaos untergehen konnte, wenn man nicht die Zügel fest anzog.
»So, und jetzt bleibt still, ihr alle, die ihr nichts zu erbitten oder zu leugnen habt. Laßt jene sprechen und gehört werden, die ein Recht darauf haben. Nun, Herr Sheriff, Ihr klagt diesen Jordan Achard hier des Mordes an. Welche Beweise habt Ihr?«
»Ich habe die Aussage eines Zeugen«, erwiderte Hugh, »der sagte und wieder sagen wird, daß Achard lügt, wenn er behauptet, er habe die Nacht zu Hause verbracht. Warum aber, wenn er nichts zu verbergen hat, sollte er es für nötig halten zu lügen? Und ich habe die Aussage eines Zeugen, der ihn früh am Weihnachtsmorgen vom Mühlweg heraufschleichen und nach Hause gehen sah. Das reicht aus, um ihn als Verdächtigen festzuhalten«, sagte Hugh knapp und winkte den beiden Soldaten, die den verschreckten Jordan fast zärtlich an den Armen faßten. »Und daß er einen Groll gegen Vater Ailnoth hegte, ist jedermann bekannt.«
»Herr Abt«, stammelte der zitternde Jordan, »bei meiner Seele schwöre ich, daß ich den Priester nie angerührt habe. Ich habe ihn nicht gesehen, ich war nicht dort, es ist falsch, jemand hat gelogen…«
»Anscheinend sind jene anderen«, erwiderte Radulfus,
»ebenso bereit zu schwören wie Ihr.«
»Ich war es, der diesen Mann gesehen hat«, erklärte der Schafhirte und Vetter des Ortsvorstehers, der von den Folgen seiner Aussage ganz erschüttert war. »Ich könnte nichts anderes aussagen, denn ich habe ihn wirklich gesehen. Es wurde gerade erst hell; ich habe die Wahrheit gesagt. Aber ich dachte mir nichts Böses dabei, und ich hätte nichts Schlimmeres vermutet, als daß er wieder hinter seinen Röcken her war, denn ich wußte ja, was man sich von ihm erzählt…«
»Und was erzählt man sich von Euch, Jordan?« fragte Hugh freundlich.
Jordan schluckte und wand sich, zerrissen zwischen der Schande, zuzugeben, wo er die Nacht verbracht hatte, und dem Schrecken, zu schweigen und Schlimmerem entgegenzugehen.
Er schwitzte und wand sich und platzte schließlich heraus: »Ich bin kein böser Mann, man respektiert mich hier… ich hatte dort früh zu tun, ganz früh, eine Tat der Barmherzigkeit bei der alten Witwe Warren, die dort unten lebt…«
»Oder ein spätes Geschäft mit ihrer hübschen Dienerin«, rief einer aus der sicheren Anonymität der Menge, und Gelächter brandete auf, das unter dem scharfen Blick des Abtes sofort erstickte.
»War das so? Und hat Euch Vater Ailnoth zufällig dabei gesehen?« fragte Hugh. »Er hat, wie man hört, mit unnachsichtiger Strenge auf solche Vergehen reagiert. Hat er Euch erwischt, als Ihr ins Haus schleichen wolltet, Jordan? Ich hörte, daß er dazu neigte, Sünden an Ort und Stelle und nicht zu knapp zu bestrafen. Habt Ihr ihn deshalb getötet und in den Teich geworfen?«
»Aber nein!« heulte Jordan. »Ich schwöre, ich hatte nichts mit ihm zu schaffen. Wenn ich mit diesem Mädchen gesündigt habe, dann war das meine einzige Sünde. Ich kam nicht über das Haus hinaus. Fragt sie doch, sie wird es Euch sagen. Ich war die ganze Nacht dort…«
Cynric hatte die ganze Zeit über bedächtig und ohne Eile das Grab weiter aufgefüllt, anscheinend, ohne besonders auf den Tumult in seinem Rücken zu achten. Während dieser letzten Worte hatte er sich mühsam aufgerichtet und streckte sich nun, daß seine Knochen knackten. Er schob sich in die Mitte des Kreises, den eisenbewehrten Spaten noch in der Hand.
Das seltsame Eindringen des einsamen, in sich gekehrten Mannes brachte alle Münder zum Schweigen und zog alle Blicke an.
»Laßt ihn, Herr«, sagte Cynric. »Jordan hatte nichts mit dem Tod des Mannes zu tun.« Er wandte den grauen Kopf und das lange, düstere Gesicht mit den tiefliegenden Augen von Hugh ab, sah den Abt an und blickte wieder zu Hugh. »Niemand außer mir«, erklärte er einfach, »weiß, wie Ailnoth sein Ende fand.«
Nun herrschte tiefstes Schweigen, noch tiefer als der Abt es hatte
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