Mörderischer Stammbaum
Tim?“
„Nichts. Außer Härte gegen
andere — vornehmlich gegen wehrlose Tauben.“
Am Eingang des Fitness-Studios
war eine Klingel. Tim drückte energisch auf den weißen Knopf. Das Läuten hinter
der Tür übertönte die Geräusche von weiter hinten. Dort wurde an den
Kraftmaschinen gezerrt, gedrückt, gerudert, gestoßen. Irgendwann würde sich der
Erfolg schon zeigen — und sei’s in einem späteren Leben.
Die Tür wurde geöffnet. Ein
solariumbrauner Typ mit mohrrübenblond gefärbtem Igelschnitt grinste einladend.
Er trug Muskelshirt, damit auch niemand seinen Bizeps übersehen konnte, und
eine lange Stretchhose mit Schwitzflecken.
„Hallo!“, tönte er. „Ihr wollt
mitmachen? Wollt euch anmelden?“
„Nächste Woche bestimmt“,
schwindelte Tim. „Heute Abend sind wir leider schon anderweitig ausgebucht. Wir
müssen zum Chorsingen. Wird ja auch höchste Zeit. Bald ist Advent. Wenn wir uns
dann anmelden, geschieht das auf Empfehlung eines Ihrer Mitglieder. Ich meine
Helmut Bierröder. Und den müssen wir jetzt dringend sprechen.“ Der Trainer-Typ
runzelte die Stirn, wo allerdings nur Platz war für zwei dicht übereinander
liegende Falten.
„Ihr meint Helmut Bierröder,
den dicken Inspektor?“
„Den! Genau den!“, bekräftigte
Gaby, um nicht nur stumm dabeizustehn.
„Der hat uns empfohlen?“
„Wärmstens!“, versicherte Tim.
„Warum kommt er dann nicht
mehr?“
„Er kommt nicht mehr?“ Tim hob
die Brauen.
„Schon seit einem halben Jahr
nicht mehr. Aber ich weiß, daß er jeden Freitag im ,Biereimer’ rumhängt. Ich
weiß es, weil ich dort meinen Absacker kippe, mein Gute-Nacht-Bier — sobald ich
hier fertig bin. Das darf man doch, wie? So wie ich gebaut bin!“
Er sah Gaby strahläugig an.
Erwartete offenbar, dass sie auf die Knie sank, um ihn anzuhimmeln. Aber Tims
Freundin pustete nur gegen ihren Goldpony und drehte etwas die Pupillen nach
oben. Man konnte das auch als ein Oh-wie-geht-mir-dieses-Äffchen-auf-den-Keks
deuten.
„Logo!“, entgegnete Tim. „Der
Biereimer ist vermutlich eine Kneipe?“
„Kennt ihr nicht?“, war die
erstaunte Frage.
„Wir trinken als Absacker nur
Milch oder Schlaftee. Wo ist denn der Biereimer zu finden?“
Der Trainer erklärte es. Tim
dankte, und Gaby quälte sich ein Abschiedslächeln ins Gesicht. Sie wollte nicht
unhöflich sein.
Karl und Klößchen froren und
hüpften auf der Stelle. „Und seine Gudrun denkt, er treibt Gymnastik“, meinte
Klößchen, nachdem Tim berichtet hatte. „Doch Bierröder tut das Gegenteil. Ist
das nun Rücksichtnahme auf seine Ehehälfte, damit sie sich nicht grämt? Oder
ist es heimlicher Freiraum, um die Sau rauszulassen?“
„Es ist auf jeden Fall
unehrlich!“, stellte Gaby fest. „Solche verlogene Heimlichkeit darf es in einer
intakten Beziehung nicht geben. Dieser Bierröder hat wirklich nur
Schattenseiten. Und das als Beamter!“
„Warum betonst du das?“ Tim
grinste.
„Weshalb grinst du so blöd?“
Gaby pustete heftig. Das galt eigentlich ihrem Pony, traf aber Tim voll ins
Gesicht. „Von einem Beamten erwartet man Redlichkeit. Sonst verliert er seinen
Status als Beamter. Hm! Bei einem freiberuflichen Geldverdiener — einem
Immobilienmakler zum Beispiel — fragt keiner, wieviele Vorstrafen er hat. Nicht
mal bei einem Politiker. Da gilt das schon fast als gewieft.“
„Bin ganz deiner Meinung,
Pfote. Also auf zum Biereimer!“
12. Im ,Biereimer’
Garantiert!, dachte Tim. Wir
sind hier die einzigen Jugendlichen. Das ist wirklich Rotlichtszene pur. Ein
Nachtlokal neben dem andern. In jedem Hauseingang aufgebrezelte Ladys im kurzen
Rock. Drogis dackeln umher. Ferraris parken und Schweinebacken besetzen die
Lokale.
Der ,Biereimer’ war ein Eckhaus
und versuchte, von außen gemütlich zu wirken. Nichts erinnerte an eine Disko.
Jedenfalls gab’s keinen Türsteher.
TKKG bogen ab um die Hausecke
in eine schmale und dunkle Gasse. Hier ging es ruhiger zu. Auf einer Seite war
der Gehsteig zugeparkt. Die Kids hielten an.
„Wenn uns mein Papi hier sähe“,
sagte Gaby, „würde er fragen, was wir hier suchen.“
„Unsere Antwort“, sagte Tim,
„würde ihn zwar nicht beruhigen, aber überzeugen. Freunde, von hier kann man in
den Biereimer reingucken.“
Er trat an eins der Fenster.
Gaby stellte sich neben ihn. Die Kneipe war in rotstichiges Dämmerlicht
getaucht. Zwei Dutzend Gäste verteilten sich an den Tischen und der langen
Theke. Über ihr schwebte ein mit Flaschen
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