Mörderischer Stammbaum
Tim. Er hatte die Faust, die rechte, nur kurz
geöffnet. Es reichte nicht, um den vermeintlichen Ohrring als Büroklammer
auszumachen.
„Ich habe nichts verloren“,
sagte Bierröder kalt.
„Warum sind Sie nicht im Gym?“
„Das geht dich einen Dreck an!“
„Sagen Sie das nachher Ihrer
Frau!“ Tim bleckte die Zähne. „Oh! Haben Sie sich verletzt? Oder ist das
Lippenstift?“
Blitzartig griff er zu mit der
linken Hand. Sie steckte in Karls Handschuh, und der war eigentlich um zwei
Größen zu klein. Aber weil es sich um gestrickte Wolle handelte, dehnte er
sich.
Bierröder wollte zurückweichen.
Aber Tim war schneller, packte
die dicke Unterlippe mit Daumen und Zeigefinger und zog sie herab.
Enttäuscht ließ er los. Die
Zahnreihe war lückenlos.
„Finger weg!“, brüllte der
Inspektor.
„Schon gut! Schon gut! Ich will
ja nur helfen.“
In diesem Moment platzte Redl
mit seinem Gelächter los. Es schüttelte ihn. Er bog sich. Lachtränen traten ihm
in die Augen. Sein Gesicht lief rot an.
Einige Gäste blickten her. Der
Wirt hatte die Fäuste in die Hüften gestemmt. Sein Gespür für Zoff war gut
entwickelt. Sicherlich kam das hier häufig vor.
Gleich wird er über die Theke
flanken, dachte Tim, und sich auf mich stürzen.
„Hel... Helmut!“ Redl japste.
„Der... der Bursche hat... Weißt du, was der eben gemacht hat? Der... hat...
hahahah... nachgesehen, ob du alle Zähne im Maul hast. Und weißt du, warum?
Weil der Beißer heute Mittag einen Zahn verloren hat. Bei ‘ner Beiß-Attacke auf
eine Joggerin. Ich war zufällig in der Nähe. Und dieser Rambo hielt mich für
den Beißer.“
„Was?“ Bierröder hielt sich
eine Hand vor den Mund.
„Sie müssen Ihren
Einfüllschacht nicht verstecken“, sagte Tim. „Ihnen fehlt ja kein Nagezapfen.
Aber wir hatten Sie im Verdacht. Denn Sie waren vor Ort, und technisch wäre der
Überfall möglich gewesen. Die anderen Voraussetzungen stimmen sicherlich auch,
denn wer Tauben die Köpfe abschlägt — jawohl, meine Damen! Damit vertreibt er
sich die Dienststunden — der könnte auch zu anderen Gewaltakten fähig sein. Nun
aber nichts für ungut, was das betrifft. Denn Ihre Nagezapfen stehen ja schön
in Reih und Glied.“
Er beugte sich etwas zu
Bierröders ungeschmücktem Ohr. „Ihre Frau denkt, dass Sie jetzt im Gym
Gemüsesaft bechern. Also keine Fahne nachher! Sonst gibt’s Kloppe mit der
Nudelrolle.“
Er wandte sich an Redl. „Über
Sie wissen wir inzwischen auch Bescheid, Sie Giftköder-Fabrikant!
Unbegreiflich, dass man damit noch Geld verdient.“
Redl grinste höhnisch. „Ich
würde dich gern mal zum Essen einladen, Rambo. Zu Feinkost, frisch aus meiner
Herstellung.“
Tim erwiderte den Blick. „Ich
komme gern. Aber nur, wenn Sie der Vorkoster sind.“
Karl zupfte Tim am Ärmel, denn
eben kam der Wirt hinter der Theke hervor. Also unnötigen Zoff vermeiden. Die
Jungs wandten sich zur Tür und gingen dicht an dem Wirt vorbei, der Tim ins
Gesicht starrte und mit einem breiten Grinsen belohnt wurde.
„Nette Bude haben Sie hier“,
sagte der TKKG-Häuptling. „Nur einige Gäste sind zum Speien.“
„Verzieht euch!“
Im Hinausgehen zeigte ihm Tim
noch den Finger, aber sehr dezent. Man konnte es auch für ein Winken mit
kaltklammer Hand halten.
Vor dem ,Biereimer’ rollte ein
dicker Mercedes vorbei. Der teigige Fahrer trug einen Mantel mit Pelzkragen und
grinste erwartungsvoll.
Hinter der Hausecke sagte Gaby
energisch: „Hauen Sie ab! Sie verwechseln mich! Ich bin nicht Ihre Lolita!“
„Sie heißt Gabriele!“,
bekräftigte Klößchen.
Tim und Karl gingen um die
Ecke. Die Bikes lehnten alle an der gegenüberliegenden Hauswand. Gaby und
Klößchen standen dort, aber nicht allein.
Ein Typ aus der Vorstandsriege,
wie Tim fand, versuchte, Gaby anzubaggern. So ein Lacko von Mitte Fünfzig mit
grauen Schläfen, Kamelhaarmantel und Breitnudelkragen. Unter dem schwarzen Stetson
grinste ein Sabbergesicht.
Er wollte Gabys Arm fassen,
aber sie sprang zurück. Dann prallte Tims Hand auf die linke Kamelhaarschulter,
was man mit gutem Willen noch als Schulterklopfen auslegen konnte, obwohl dem
Lacko die Knie einknickten.
„Geh weiter, Opa!“, empfahl der
TKKG-Häuptling. „Hier ist nicht der Babystrich. Und im Biereimer warten ein
paar reizende Damen auf dich. Alle in deinem Alter. Und mehr.“
„Heh!“ Der Mann wich zurück.
„Ich... Ach, egal!“ Er zog ab.
„Gefährliche Gegend!“, sagte
Klößchen.
„Gleich
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