Mörderischer Stammbaum
Hedwig
hieß, verständigte Polizei und Notarzt.
Redl war nicht tot. Er hatte
einen Steckschuss im Hals und einen Streifschuss am Kopf. Eine Notoperation
noch in dieser Nacht würde den Giftköder-Fabrikanten retten. Aber nach der
Genesung in einigen Monaten war er nicht mehr derselbe. Durch die
Halsverletzung war seine Gesundheit angeschlagen für immer und Redl zog sich
von den Geschäften zurück. Er führte ein Leben als Frührentner und nahm fast
nur noch flüssige Nahrung zu sich.
Sein Betrieb wurde eingestellt,
denn kein Käufer konnte sich für diese Fabrikation erwärmen.
22. Trittbrettfahrer2
Bierröder hatte kalten Schweiß
auf der Stirn. Die Hände zitterten. Er war eben nach Hause gekommen und
erschrocken gewesen über den Polizeiwagen vor seiner Adresse, vor
Leichtenstetter Straße 144.
Was war passiert? Einbrecher
bei ihm? Eine Gasexplosion? Dass auch seiner Gudrun was zugestoßen sein könnte,
fiel ihm zuletzt ein.
Nichts von alledem.
Seine Frau stand totenbleich in
der Diele. Ein Kriminalbeamter, der sich dann als Kommissar Glockner vorstellte,
redete.
Auf Gudruns Gesicht stand
Entsetzen.
Bevor Bierröder ein Wort heraus
brachte, wurde er von seiner Frau angespuckt.
„Du Sau! Du Verbrecher!
Mistkerl! Rumtreiber! Schänder! Ja, du bist der Beißer!“
Bierröder spürte, wie seine
Gedärme krampften. Aus! Vorbei! Er wurde festgenommen.
„Wir haben das Haus
durchsucht“, erklärte Gabys Vater. „Vor allem Ihren Hobbyraum unten im Keller.“
Bierröder hatte inzwischen
gecheckt, dass noch zwei weitere Beamte anwesend waren: ein Uniformierter und
einer in Zivil, der Durchsuchungs-Experte. Sie hatten Gudrun den richterlichen
Befehl vorgelegt und waren natürlich gleich auf den Hobbyraum aufmerksam
geworden. Den betrachtete Bierröder nämlich als sein Reich. Nicht mal zum
Staubwischen durfte Gudrun hinein.
Bierröder hatte dort seine
Utensilien versteckt: die Kopfmaske, die den Mund freiließ, die Handschuhe, die
Klamotten. Und die Mappe mit den Zeitungsberichten über fünf — jawohl über fünf
— Überfälle und Beiß-Attacken des ,Beißers’. Zu schlimmeren Handlungen war es
dabei allerdings nicht gekommen. Die Opfer hatten sich losreißen können und
waren geflohen.
Die Polizei hatte alles
gefunden.
Bierröder wimmerte, als sie ihm
Handschellen anlegten.
„Ich... ich bin nicht der
Beißer.“
„Ach nein?“, sagte Glockner.
„Ich glaube doch. Und heute Mittag haben Sie bei dem Überfall auf Helga
Hoppenheide einen Zahn verloren. Ja, der wurde inzwischen von Dr. Bachrippe
ersetzt. Aber der Originalzahn mit blutiger Wurzel — der liegt uns vor. Und
damit läßt sich sehr leicht bestimmen, dass Sie es waren. Klar?“
Bierröder war auf einen Stuhl
gesunken, weil ihn seine Beine nicht mehr trugen.
„Das... ja, das war ich. Aber
sonst... nein! Nur fünfmal! habe ich vorher... Weil... weil doch alles über den
Beißer in der Zeitung stand. Da habe ich... Weil ich Hass habe auf diese
krötigen Weiber. Sie lachen über mich. Nur wenn ich das Portmonee zücke, kommen
sie mit. Sonst bin ich für die nur der Doofe. Und für meine Frau bin ich das
schon lange.“
„Ja!“, schrie Gudrun. „Du bist
unerträglich!“
„Du noch mehr!“, brüllte er
zurück.
„Ruhe!“, befahl Gabys Vater und
dachte: kann sein, er sagt die Wahrheit. Ist durchaus möglich. Dann wäre er nur
ein Trittbrettfahrer. Ein Nachahme-Täter. Und für die schwereren Fälle mit
blutenden Bisswunden — and more — dafür ist ein anderer verantwortlich.
Im Präsidium wurde Bierröder
eingehend verhört. Glockner fragte auch nach dessen Bekanntschaft mit Lothar
Redl, dem Giftköder-Fabrikanten. Denn was den betraf, war inzwischen eine
alarmierende Meldung eingegangen: von dem Einbruch in sein Haus und den
Schussverletzungen. Redl war, unter Obhut des Notarztes, bereits auf dem Weg
ins Krankenhaus.
„Den Lothar kenne ich schon
lange“, erklärte Bierröder. „Wir haben gemeinsame Interessen. Zum Beispiel
finden wir diese ganze Tierliebe und den Tierschutz blöd und übertrieben. Die
Viecher gehören, falls sie schmecken, in den Kochtopf und sonst nirgendwohin.
Und das Gekacke der Tauben geht einem doch auf den Nerv, nicht wahr?“
Beifallheischend sah er umher.
„Sie sollten sich auf
verminderte Zurechnungsfähigkeit berufen“, sagte Gabys Vater kalt. „Ihren
Status als Beamter haben Sie ohnehin eingebüßt.“
*
Rosalinde Kovechluser las im
Bett noch einen — absolut unwahren —
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