Mörderspiel
Instinkten verspürte den Wunsch, sie zu retten. Hingegen spiegelten die Gesichtszüge des Folterknechtes neben ihr das reine Böse wider. Seine Augen funkelten in sadistischer Vorfreude auf die Schmerzen, die er ihr zufügen würde.
Viele der dargestellten Szenen im Kellergewölbe waren hervorragend gestaltet und erzählten die alte Geschichte der Unmenschlichkeit des Menschen gegenüber dem Menschen. Doch diese eine übertraf alles.
Zumindest nach Jon Stuarts Auffassung. Er lehnte schweigend in einer Nische an der Wand, und seine Anwesenheit fiel durch das Dämmerlicht ringsum kaum auf. Nachdenklich betrachtete er die Szene und beobachtete die blonde junge Frau, die nun davor stand.
Sie entsprach in Aussehen, Haarfarbe und Figur der Blonden auf der Folterbank, eine junge Frau mit einer üppigen blonden Haarpracht, die ihr lose über Schultern und Rücken hinabfiel. Sie war schlank und hatte eine wunderbare Figur, was Jeans und enger Pullover betonten. Ihre Gesichtszüge waren sehr feminin, mit einer schmalen, geraden Nase, hohen Wangenknochen, schönen blauen Augen und vollen, sinnlichen Lippen. Auch sie betrachtete die Szene mit einem gewissen Interesse – und mit Argwohn. Es schien, als wolle sie auflachen, wie um sich zu beschwichtigen, dass es ja nur Wachsfiguren seien, die sie da betrachtete. Denn die Szene wirkte beängstigend, und sie stand allein hier im Halbdunkel. Glaubte sie zumindest.
Sabrina Holloway.
Er hatte sie seit über dreieinhalb Jahren nicht mehr gesehen. Obwohl er etwas überrascht war, sie gerade hier anzutreffen, freute ihn ihre Anwesenheit. Seine letzte Einladung zu jener schicksalhaften Krimi-Woche hatte sie seinerzeit höflich abgelehnt. Damals war Cassandra gestorben.
Ob Sabrina es nun erkannte oder nicht, jedenfalls hatte sie Joshua als Modell für die Blonde auf der Folterbank gedient.
Joshua Valine arbeitete seine Figuren stets nach dem Vorbild lebender Menschen aus seinem Bekanntenkreis. Irgendwann hatte er Jon gegenüber mal erwähnt, dass er Sabrina Holloway in Chicago kennen gelernt habe. Dabei hatte er so verliebt geklungen, dass Jon es seinerzeit nicht über sich brachte, ihm zu gestehen, er kenne sie ebenfalls. Dabei verstand er Joshuas Schwärmerei für Sabrina nur zu gut. Er selbst war auch mehr als angetan gewesen, als er sie damals kennen lernte. Ehe…
Nun ja, es gab viel zu bewundern – oder zu begehren – an Miss Holloway. Er war nicht als Einziger ihrem Charme erlegen. Sie hatte auch die Aufmerksamkeit von Brett McGraff auf sich gelenkt. Die Folge waren eine stürmische Romanze, eine kurze Ehe und eine skandalträchtige Scheidung gewesen.
Jon beobachtete sie und war froh über die Distanz zwischen ihnen. Sabrina Holloway war von einer seltenen Grazie und Schönheit. Trotz seines Einsiedlerdaseins in den letzten Jahren hatte er ihre Karriere in Zeitungen und Journalen verfolgt. Zumal sich die Reporter der Klatschpresse auf Brett McGraffs letzte skandalumwitterte Scheidung von einem so schönen jungen Wesen geradezu gestürzt hatten.
Als er Sabrina Holloway kennen lernte, hatte sie ihn schlichtweg bezaubert mit ihrer Unschuld und ihrer Begeisterungsfähigkeit. Sie war faszinierend gewesen. Heute sah sie die Welt zweifellos nicht mehr durch die rosarote Brille. Sie war eindeutig gereift. Sie war…
Spektakulär. Eleganter denn je. Dabei wirkte sie nachdenklich, wenn nicht gar weise.
Woher willst du das denn wissen? fragte Jon sich ironisch.
Sie kann genauso gut zu einem hartherzigen, selbstsüchtigen Luder geworden sein, belehrte er sich in einem Anflug von trockenem Humor. So ging es manchmal im Leben. Immerhin hatte sie ihn damals mit eiserner Entschlossenheit verlassen. Und in all dem Medienrummel um ihre Scheidung und trotz manch schockierender Situation hatte sie sich wacker gehalten.
Dennoch umgab sie eine sonderbar fesselnde Aura von Kultiviertheit und Unschuld. Obwohl gerade er, bei Gott, auf die harte Tour gelernt hatte, dass ausgerechnet die zart und zerbrechlich wirkenden Frauen die schlimmsten Schwarzen Witwen sein konnten.
Sabrina stammte von einer Farm im Mittleren Westen, wie Jon sich erinnerte. Dabei musste er lächeln. Sie besaß viel Wärme, zugleich war sie zurückhaltend. Dennoch hatte es Momente gegeben, in denen sie alle Zurückhaltung aufgab. Immer dann hatte er geglaubt, sie schon ein Leben lang zu kennen. Sie war fesselnd und doch bodenständig, unverkrampft und von natürlicher Schönheit. Als sie sich begegneten, war sie
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