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Mörikes Schlüsselbein

Mörikes Schlüsselbein

Titel: Mörikes Schlüsselbein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olga Martynova
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wollte, was auch Thomas wusste und insgeheim wollte, was sie auch wusste. Sie kam zurück und legte etwas Geld in eine (leere) Büchse. Thomas wurde verlegen und sagte: »Wie unsere behaarten Vorfahren zu sagen pflegten: Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment.«
    Franziska lachte. Ein (unwillkürlich sinnliches) Lachen, das sie (als solches) registrierte (woraufhin sie noch verlegener wurde).
    Vor der Kneipe kommt einer zu ihnen und sagt: »Bitte, fürs Essen«, mit einem (so ernsten und fordernden) Nachdruck auf dem Wort »Essen«, dass Franziska an das Gespräch mit Marina in Tübingen denken muss, wie peinlich ihr das damals gewesen war, dass Marina das Elend der anderen Menschen klein reden nicht sehen wollte. »Nein«, sagt Martin. Thomas gibt ihm eine Münze und erklärt, dass er in seinen Jackentaschen immer Kleingeld habe, um, falls er sich doch entscheiden würde, etwas zu geben, nicht zur Brieftasche greifen zu müssen. In der Kneipe sagt Martin: »Hab ich euch die Geschichte des Bettlers aus Frankfurt erzählt? Nein? Dann hört mal:
    GESCHICHTE DES BETTLERS AUS FRANKFURT
    Es gibt einen in Frankfurt, der BWL studiert und dann in einer Bank gearbeitet hat. Einmal in der Mittagspause suchte er in einer Grünanlage nach einer freien Bank, um ein Bier zu trinken. Ein Senkel an seinem Schuh löste sich, und der Typ setzte sich auf den Randstein eines Blumenbeets, stellte das Dosenbier neben sich und band den Senkel. Der warme Stein erwärmte seinen Hintern, er zog seine Anzugsjacke aus, steckte die Krawatte in die Hosentasche und dachte: Wieso soll ich nach einer freien Bank suchen, ich bleibe hier und trinke hier mein Bier. Ja, ich hab noch vergessen zu sagen, er hatte langes Haar. Als ihm jemand im Vorbeigehen eine Münze hinwarf, fand er das so peinlich, dass er nichts sagte. Als er die zweite Münze bekam, begann ihn das Ganze zu amüsieren. Leute warfen ihm gerne Münzen hin, weil man mit einem, der sauber gekleidet ist, einfach mehr Mitgefühl hat. Kurz: er ging an diesem Tag nicht zurück ins Büro, und als er am Abend das Geld zusammenzählte, stellte es sich heraus, dass er auf diese Weise nur zwölf Tage jeden Monat ›arbeiten‹ (Martin setzte Gänsefüßchen in die Luft) musste, um dasselbe zu verdienen, was er in seiner Bank verdiente.«
    »Brutto oder netto?«, fragte Thomas.
    «Das weiß ich nicht«, sagte Martin, »aber er hat gekündigt und lebt sorglos und glücklich als ›Arbeitsloser‹«, Martin setzte wieder Gänsefüßchen in die Luft.
    ZEPPELINE ÜBER PARIS / FRANZISKA (FAST) OHNE ADJEKTIVE / AUSFLUG IN DIE HÖLLE / VERLIEBTE AUGEN
    »Ja, Moritz, nein, die Dame aus dem Stift ist gerade im Urlaub, aber sie scheint die Richtige zu sein, ich habe die Telefonnummer, ich rufe sie nächste Woche an. Versprochen, bis später.« Ich bin jetzt mit deiner Mutter Kaffee trinken, will sie sagen, weiß aber nicht, wozu das gut sein soll. Sie drückt die Aus-Taste und sagt: »Moritz ist ein sehr liebes Kind.«
    Als Fjodor in Berlin gewesen war, hatte er über Moritz gesagt: »Das ist Student Anselmus, er sieht genauso aus wie Student Anselmus. Wie er sich bewegt, wie er lächelt, vor sich hin murmelt, er ist ein romantischer Dichter, glaub mir, aus ihm wird etwas werden.« Das hätte Marina beinah erzählt, denkt aber gleich, dass das kaum ein Kompliment wäre. Nur in Fjodors Augen. Verträumt, zappelig, launisch, ist Moritz bestimmt kein einfaches Kind für Sabine. Auch Franziska ist es nicht, sie lebt aber schon nicht mehr zu Hause, und was man nicht sieht, das sieht man eben nicht.
    »Moritz ist mir auch einer«, sagt Sabine. »Klar, sein Abitur wird er kriegen, obwohl er eigentlich kaum in die Schule geht; er schafft das. Aber dann?« Kinder brauchen einen Vater. Frank ist lieb, aber er ist fast immer unterwegs, sogar ich sehe ihn kaum. Und Andreas war nie ein guter Vater, wäre es auch nicht gewesen, hätten wir uns nicht getrennt. Er ist mit seinen Büchern, seinen Einfällen, seiner Depression beschäftigt und glaubt, dass das Leben von alleine geregelt wird, ich weiß nicht, ob er sich noch an die Namen seiner Kinder erinnert, will Sabine sagen, denkt aber, dass Marina kaum die passende Zuhörerin dafür wäre. Stattdessen sagt sie:
    »Und Franziska. Ihr Martin hat mir zuerst so gut gefallen. Jetzt aber denke ich, dass sie zu fein für ihn ist. Zu nervös, zu eigensinnig. Er kann sie nicht unterstützen, sie wird ihn nur nerven, ich spüre das.«
    Marina las in der

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