Möwennest-Reihe Gesamtband (German Edition)
Im Hintergrund lief lautlos der Fernseher. Auf dem Tisch dampfte eine Tasse mit schwarzem Kaffee.
Mit wenigen Schritten war Vi ktor bei seinem Chef und legte mit einer schwungvollen Handbewegung den Beutel auf der teuren Tischplatte ab. Einige übrig gebliebene Erdklümpchen und Schimmel rieselten darauf. Petr Stojic hob den Kopf.
„Was ist das?“, fragte er.
„Dinge, die zehn Jahre in den falschen Händen waren“, gab Viktor feierlich Auskunft und öffnete den Beutel, sodass Petr einen Blick hineinwerfen konnte.
Wenn Stojic verwundert oder überrascht war, zeigte er es nicht. Seine Emotionen beschränkten sich auf ein tonloses „Ah“. Hinter Viktor kam Andrej in den Raum getrottet und stellte sich stumm neben ihm auf. Petr untersuchte den Inhalt und nahm endlich eine Trophäe nach der anderen hinaus. Er begutachtete jede von ihnen sehr genau und legte sie anschließend vorsichtig beiseite. Als er ganz unten schließlich die elfenbeinerne Schachfigur sah, glaubte Viktor so etwas wie Erleichterung in seinen Augen aufblitzen zu sehen. Und das erfüllte ihn mit einem gewissen Stolz. Spätestens jetzt wusste er, dass er seine Sache gut gemacht hatte, obwohl es eine schmutzige gewesen war und er sich dabei (aufgrund einer kurzen Unaufmerksamkeit) die Nase hatte brechen lassen.
Petr erhob sich , ging hinüber zu seinem geliebten Schachspiel und stellte die lange verschollene Figur an ihren angestammten Platz. Sekundenlang betrachtete er das wieder vollzählige Figurenensemble. Nach einigen Minuten, die Viktor vorkamen wie eine Ewigkeit, kam Petr zurück und nahm auf seinem Sessel Platz.
„Gut, gut“, murmelte er und blickte gedankenverloren die aufgereihten Trophäen an. Dann klärte sich sein Verstand auf. Die kalten berechnenden Augen fixierten Viktor. Der wollte ergeben den Kopf senken, wurde jedoch von Petrs starrem Blick festgehalten.
„Was ist mit Ari Sklaaten und Harry Romdahl?“
Innerlich betete Viktor, Andrej neben ihm würde das Maul halten, dann sagte er in einem Anflug von Bedauern und Ehrfurcht: „Beide erledigt.“
Petr hob die linke Augenbraue.
„So?“, fragte er. „Für Harry tut es mir leid. Er war ein guter Kerl, vielleicht der anständigste von euch allen.“
„Er hat seinen Job nicht ordentlich gemacht und dafür bezahlt“, widersprach Viktor. Er fasste langsam Mut. Andrej blieb stumm. Petr musste nicht zwingend wissen, dass sie nicht sicher waren, was das Ableben von Sklaaten betraf. Natür lich hätte Viktor den Kerl mit Freuden über den Jordan geschickt. Die Sache mit dem Besteck im Krankenhaus, das Ari ihm in den Oberschenkel gejagt hatte, hing ihm natürlich nach. Aber in erster Linie kam es darauf an, dass er (nach den Fauxpas, die er sich in den letzten Wochen geleistet hatte) wieder glänzend bei Petr dastand.
„Das ist wahr“, pflichtete Petr Viktor bei. Mehr sagte er nicht. Viktor hielt das für ein gutes Zeichen. Wenn Stojic keine Fragen stellte, war meist alles in bester Ordnung. Bestätigend kam hinzu, dass er Andrej anwies, die Trophäen an die Plätze an der beflaggten Wand zurückzuhängen. Die Haken waren nie entfernt worden. Petr hatte im Laufe der Jahre lediglich den großen Röhrenfernseher durch ein noch größeres Flachbildgerät ersetzen lassen.
„Also dann“, sagte Viktor und konnte den triumphierenden Unterton nicht aus seiner Stimme verdrängen, „Auftrag erledigt. Wie so oft. Wie immer.“
„Auftrag erledigt“, murmelte Petr und wandte sich seinem Computer zu. Gelangweilt klickte er auf dem Touchpad des Gerätes herum. Seine Handlung schien kein spezifisches Ziel zu haben und lediglich dem Überbrücken einiger Minuten zu dienen. Weil er nichts weiter sagte und Andrej an der Wand beschäftigt war, schlug Viktor vor, endlich ein paar wohlverdiente Stunden Schlaf zu nehmen.
„Gewiss“, gestattete es ihm Petr, bevor er hinterherschob. „Weißt du, Viktor, ich bin kein großer Technikfreund. Ich komme mit diesen neumodischen Geräten nicht gut zurecht. Ich traue ihnen zuweilen nicht.“
„Oh, ich denke, das kann man alles lernen. Es braucht nur ein bisschen Übung“, ermunterte Viktor gut gelaunt. Ungefragt umrundete er den Schreibtisch, stellte sich neben Petr und beugte sich hinunter. Vielleicht konnte er ein paar Bonuspunkte sammeln, indem er seinem Chef ein paar einfache technische Spielereien erklärte.
„Tja, ich bin mir nicht sicher. Denkst du, dass man auf die Technik von heute vertrauen kann?“
„Wenn sie einwandfrei
Weitere Kostenlose Bücher