Möwennest-Reihe Gesamtband (German Edition)
nicht viel weniger ramponiert aus. Harry starrte unentwegt auf das, was einmal sein Zuhause gewesen war.
Er bemerkte zuerst gar nicht, dass sich der Feuerwehrmann neben ihm niederließ. Erst als der Mann das Wort ergriff, zuckte Harry leicht zusammen und riss seinen Blick los.
„Sie hatten verdammtes Glück. Und sie haben intuitiv das Richtige getan.“
Harry warf ihm einen fragenden Blick zu.
„Habe ich das?“
Seine Stimme war rau und jedes Wort schmerzte.
„Und ob! Sie hätten bei lebendigem Leib verbrennen können. Ach, was rede ich. Sie wären verbrannt, wenn sie nicht so reagiert hätten, wie sie reagiert haben.“
„Wie habe ich denn reagiert?“
Der Mann schien irritier t von der Frage, nahm den Helm mit der einen Hand ab und strich mit der anderen Hand über die braunen Haarstoppeln seines Hinterkopfs.
„Na, die Sache mit der Kuhle , und dass sie es hinbekommen haben, diese teilweise unter Wasser zu setzen. Jeder andere hätte vermutlich in ihrer Situation den Verstand verloren, hätte versucht, mit dem bisschen Wasser, das aus so einem Gartenschlauch kommt, den Brand zu löschen. Sie hingegen haben alles richtig gemacht. Bemerkenswert.“
Jetzt war Harry irritiert. Die letzten Erinnerungen an die Minuten in den Flammen waren nebulös. Er glaubte, dass er durch den vielen Rauch, den er eingeatmet hatte, zu fantasieren begonnen hatte , bevor in seinem Oberstübchen das Licht ausgegangen war. Die nächste bewusste Wahrnehmung war die gewesen, dass ihn jemand aus dem Loch gezogen hatte und ihn nach einer gründlichen Erstversorgung hierher verfrachtet hatte. Der Mann schien ihm die Verwirrung anzusehen, kramte sogleich in der Innentasche seiner Uniform und zog etwas Grünes daraus hervor. Es war der Aufsatz des Gartenschlauches (reichlich deformiert und stellenweise geschmolzen).
„So , wie es für uns aussah, haben sie sich geistesgegenwärtig in diese Kuhle gelegt und das Wasser laufen lassen, bis das Feuer den Schlauch geschmolzen hat. Dann haben sie die Bodenplatte, so gut es irgendwie ging, über das Loch gelegt und abgewartet. Und mit viel Glück haben sie überlebt. Es ist, lassen sie sich das ruhig sagen, ein Wunder. Ich habe so etwas nie zuvor erlebt.“
Harry sparte sich die Erwiderung. Wenn du wüsstest, wie viele „Wunder“ ich in den letzten Tagen mitgemacht habe, wärest du nicht ganz so erstaunt , dachte er bitter und nahm dem Feuerwehrmann den Aufsatz aus der Hand. Er drehte ihn ein paar Mal zwischen den Fingern, dann ließ er ihn einfach zu Boden fallen.
„Na ja, wie auch immer“, sagte der Mann und stand auf. „ich muss rüber zu den Jungs. Wir müssen kontrollieren, ob alle Brandherde eliminiert wurden. Warten Sie bitte hier. Wie gesagt, der Arzt müsste gleich eintreffen. Sie haben zwar, wenn sie mich fragen, abgesehen von einer leichten Rauchvergiftung und kleineren Verbrennungen keinen Schaden davongetragen, aber schaden kann es nicht, sich untersuchen zu lassen.“
Er war schon ein paar Meter gelaufen, da drehte er sich noch einmal um.
„Ach, ehe ich es vergesse. Die Polizei - beziehungsweise Commissaris Beelham - wird gleich hier eintreffen. Er möchte ihnen, so wie es möglich ist, einige Fragen stellen. In der Umgebung ist heute der Teufel los. Drei Leichen hat man gefunden. Die Lage ist angespannt. Dass sie überlebt haben, ist sozusagen die beste Nachricht des heutigen Tages.“
Harry beobachtete, wie der Mann hinüber zu seinen Kollegen stapfte. Alleine gelassen - in jedem Fall unbeachtet - saß Harry auf dem Trittbrett und dachte nach. Nein, er dachte nicht nach, er führte ein intensives Selbstgespräch. Ein Gespräch mit der Stimme in seinem Kopf, die er so verachtete, weil sie ihm ständig vor Augen hielt, was für ein Versager er war.
„Wieder mit mehr Glück als Verstand am Leben geblieben. Gratulation“, sagte die Stimme abschätzig.
„Hauptsache ist, dass ich lebe. Ich dachte, ich werde lebendig gekocht und verbrannt.“
„Tja, ein H och auf deine Intuition und auf den Tunnel, den Ari gegraben hat. Ohne den Sauerstoff wärest du nämlich schneller erstickt, als dir recht gewesen wäre.“
„Ja … ein Hoch auf Ari Sklaaten“, knurrte Harry. „Er hat mich ein weiteres Mal im Stich gelassen.“
„Hat er das? Er hat dich gewarnt. Du warst nur zu dumm, um schnell zu reagieren.“
„Ja, ja. Ich bin natürlich nur selbst schuld.“
„Genau.“
Harry schüttelte den Kopf. Ein beißend heißer Schmerz durchfuhr ihn und so ließ er es
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