Mogelpackung: Roman
dass es je von ihm geplant war. Manchmal war erst die Stadt da und dann die Frau: Umzug nach Köln, Beginn eines Soziologiestudiums, zwei Wochen später Caro kennengelernt. Caro, die permanent Kreuzzug gegen das politische Establishment führte, Fredo auf jede Demo schleppte und ihn schließlich ausgerechnet für einen Banker verließ. Ein Intermezzo in Bochum. Psychologie und Nina – eine Klette, die schon mit Suizid drohte, wenn er sich nur mal am Sonntagnachmittag mit Freunden im Park zum Kicken traf. Nina wiederum wurde von ihm verlassen für ein Mädchen (Annabel, Anglistik, Gießen), das mit jedem schlief. Was auch nicht das Wahre war und Fredo nach Berlin trieb (Meflude, vollemanzipierte Deutschtürkin mit Karrieredrang und, ach ja, Germanistik). Dann kamen die Jobs. Bald die Schreiberei. Diverse Wohngemeinschaften und Single-Buden. Die Frauen nicht mehr Studentinnen, sondern Volontärinnen, Produktions- oder Redaktionsassistentinnen. Dann SIGMA und Sandra. An die er nicht denken mochte, weil das weh tat.
Und jetzt?
Flatter, flatter, Flügelschlag. Klebst wieder im Bornstedter Netz, als hättest du dich niemals von der Stelle bewegt. Alles unnütz. Gib den Castorp. Liege bequem und mache die eigene Verdauung zum Topthema des Tages.
Uuund danke: Klappe.
Der ganze Gedankenkram spielt sich nur im Off ab, dachte Fredo. Völlig unfilmisch. Dieses Drehbuch haut man mir um die Ohren, zu Recht. Also gar nicht erst schreiben. Lieber schlafen.
Was er tat, innerhalb von Sekunden.
Schlief tief und fest, bis …
4.
A aaaaaooouuuuuhhh …!«
PLOCK.
PLOCK.
»Oooooouuuuuhhh …!«
Orkanartiges Tosen, seltsam gedämpft und monochrom. Dazwischen schlug irgendetwas irgendwo ein. Fredo drang beides allmählich ins schlummernde Bewusstsein.
»Schweinsteiger zu Gomez, der legt ab auf Podolski. Podolski … jetzt ist er vorbei … Podolski … Übersteiger Podolski … Podolski nimmt Maß mit seinem starken Linken … zieht ab und …!«
PLOCK.
»Haaaaaooouuuuuhhh …!«
Fredo tastete mit geschlossenen Augen nach der Fernbedienung. Die Hand ging ins Leere. Eigentlich müsste da das Sofa sein.
»Nur um Zentimeter vorbei. Schneller Abschlag vom gegnerischen Gehäuse, sofort abgefangen von Mertesacker. Langer Ball auf den rechten Flügel zu Philipp Lahm. Der kleine Lahm treibt das Leder, bringt die Kugel sicher zu Özil … Mesut Özil … Kunstschuss …!«
PLOCK.
»Aaaaaahhh! In den Winkel! Ein Traumtor, meine Damen und Herren! Ein Tor des Monats, wenn nicht gar das Tor des Jahres! Mesut Özil mit seiner überragenden Technik, er macht den Unterschied und trifft zur längst überfälligen Führung für die deutsche Nationalelf!«
Kein Sofa. Deckchair. Terrasse. Bornstedt. Und die Nationalelf hatte schon letzte Woche gespielt. Fredo öffnete die Augen, wickelte sich aus der Wolldecke, stand auf und streckte sich. Hinter der Hecke zum Nachbargrundstück bewegte sich ein pummeliger, vielleicht zehnjähriger Junge etwas unbeholfen mit einem Fußball vor der hölzernen Front eines Geräteschuppens. Gerade spielte er den letzten Treffer in Zeitlupe nach, lautstark unterlegt vom euphorischen Kommentar des fiktiven Reporters.
»Hier sehen Sie noch einmal ganz genau den Treffer in seiner vollen Schönheit: Özil täuscht geschickt den Pass an … ein Haken … eine Drehung … der Schuss, unwiderstehlich mit dem Außenrist … und dann schlägt der Ball ein!«
PLOCK. Der Ball donnerte gegen die Schuppentür. Der Junge riss beide Arme hoch, drehte ab und imitierte ein ausverkauftes Stadion in heller Ekstase.
»Haaaaaooouuuuuhhh…!«
Fredo erwog, Stadion, Nationalelf und Reporter um stimmliche Mäßigung zu bitten, kam jedoch zu dem Schluss, dass ein simpler Platzwechsel ins Haus die effektivste Maßnahme wäre, sich aus der Liveübertragung von nebenan auszublenden. Bevor er die Terrasse verließ, warf er noch einen Blick auf das Spinnennetz. Die Fliege war verschwunden. An ihrer Stelle saß, regungslos in stiller Verdauung, eine langbeinige Monsterspinne, deren Anblick zartbesaitete Menschen umgehend in den Schreikrampf getrieben hätte. Ein Grund mehr, das Feld zu räumen.
Er hatte ohnehin genug geschlafen. Es war schon fast Abend. Im Haus herrschte Stille, was ihm ein wenig Unbehagen bereitete. In seiner Berliner Wohnung lärmte immer etwas im Hintergrund. Hier tickte nicht einmal eine Uhr. Sandras Wohnung, nicht meine, korrigierte sich Fredo innerlich. Schon praktisch, dass er sich nicht gleich
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