Mogelpackung: Roman
um das profane Problem einer neuen Bleibe kümmern musste. In der Zwischenzeit würde Sandra seine paar Sachen sicher nicht zum Fenster rausfeuern. Und wenn – es war nicht viel: ein paar Regale, ein bequemer Sessel. Bücher, CDs. Seine Kleidung. Alles andere gehörte Sandra. Jetzt, da er darüber nachdachte, fiel Fredo auf, dass ihm selbst tatsächlich ganz schön wenig wirklich gehörte.
Er trat aus seinem Gästezimmer in die weitläufige Diele, die wahrscheinlich für sich genommen schon mehr Fläche bot als die meisten der Wohnungen, in denen Fredo während der letzten Jahre – abgesehen von Sandras Appartement – gehaust hatte. Geld zählte zu den vielen Dingen, die Fredo eher selten beschäftigten. Zur Deckung seiner bescheidenen Ansprüche benötigte er nicht sehr viel davon. Geld und damit verbundener Luxus, das war etwas fürs große, undefinierte »Später« – genau wie Zukunftsprojekte namens Frau fürs Leben, Kinder oder Rentenplan. Testament passt auch perfekt in die Reihe, dachte Fredo. Trotzdem, gestand er sich ein, es ist schon ganz erstaunlich, dass Markus und Nicole so eine Riesenhütte besitzen. Wie haben die das bloß gemacht? Die sind doch beide nicht mal sechs Jahre älter als ich. Und als sie dieses Ding gebaut haben … Er rechnete kurz nach: Da waren sie sogar noch ein paar Jahre jünger gewesen als er jetzt. Trotzdem längst verheiratet und mit Kindern im Schlepp. Komisches Leben. Kein Wunder, dass wir uns nicht viel zu sagen haben, fand Fredo und warf einen Blick in die verlassene Küche.
Der verschmorte Bräter lag blank geschmirgelt auf der Spüle. Gesche war vielleicht im Ort unterwegs oder weilte in ihren Gemächern, die aus einer Zwei-Zimmer-Einliegerwohnung im Dachgeschoss bestanden. Fredo entdeckte die Kaffeemaschine auf der saubergewischten Arbeitsplatte der Küchenzeile. Eine Koffeindröhnung käme jetzt genau richtig, beschloss er und machte sich in den Schränken auf die Suche nach Kaffee und Filtertüten. Markus stand auf exotische Edelsorten und ließ sich das sündhaft teure Zeug eigens über einen Hamburger Importeur besorgen. Das war doch mal was anderes als die ätzende Büroplörre bei der SIGMA TV. So ein bisschen Luxus ist gar nicht schlecht, fand Fredo. Könnte man sich glatt dran gewöhnen.
Tim lag erschlafft im Hagelsturm eines sägenden Elektrobeats auf dem Sofa im Wohnzimmer. Die Band hieß »Frittenbude«, und über den pumpenden Beats quäkte eine verzerrte Stimme: »Pandabär, Pandabär …« Ohne jede Vorwarnung brach der Groove zusammen. Stille. Pandabär, Akku leer. So ein Mist. Tim pflückte sich die Kopfhörer aus den Ohren und steckte sie zum MP3-Player in die Hosentasche. In der Küche schlug eine Schranktür zu, Geschirr klapperte. Wahrscheinlich Gesche. Dann pfiff jemand fröhlich vor sich hin, bis ihm Porzellan aus der Hand fiel und scheppernd am Boden aufschlug. »Shit!«, scholl es gedämpft herüber. Doch nicht Gesche. Onkel Fredo.
Tim rieb sich unwillkürlich die verschorfte Schramme an der Stirn. So ein Trottel, parkt das Auto voll in seiner Einflugschneise. Aber was ließ sich anderes erwarten von jemandem, der seinen Alltag mit dem Schreiben von Telenovelas bestritt. So einen Müll guckten bloß kleine Mädchen, und zwar die doofen. Tim hatte seinen Onkel so selten und schon so lange nicht mehr gesehen, dass er sich kaum an ihn erinnerte. Dafür hatte er die mehr als ein Mal geäußerte Ansicht seines Vaters Markus im Ohr, Fredo kriege nie etwas gebacken. Für gewöhnlich war Tim prinzipiell anderer Meinung als sein Vater. Aber hinsichtlich Fredo schien der Alte ausnahmsweise mal richtigzuliegen. Ausgerechnet so eine Nullnummer sollte hier drei Monate lang den großen Aufpasser spielen. Haha.
Am liebsten wäre es Tim gewesen, man hätte ihn das Vierteljahr lang einfach alleine gelassen. Eltern in China, Gesche und Karla sonst wo, und Timmie allein zu Haus. Das wär’s. Aber das hatte man ihm natürlich nicht zugetraut. Ihm traute ja niemand etwas zu. Offiziell, weil er erst vierzehn war. Tatsächlich aber, weil er eben er war. Nicht so perfekt wie seine Schwester Karla, die Alleskönnerin. Tim reichte nicht. Der Mensch Timmie reichte einfach nicht. Nicht den Scheißlehrern, nicht den Eltern. Wenn jemand meinen Vater nach mir fragt, dachte der Junge bitter, heißt es wahrscheinlich auch nur: Tim kriegt nie etwas gebacken.
Da musste natürlich ein Aufpasser her. Wir wollen euch gut versorgt wissen, wenn wir in China sind, hieß
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