Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mogelpackung: Roman

Mogelpackung: Roman

Titel: Mogelpackung: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Schröter
Vom Netzwerk:
es. Was in Wirklichkeit bedeutete: Bau keine Scheiße, Tim! Und: Wir sorgen uns vor allem um unser teures Eigenheim. Um die edlen Möbel und die exquisiten Accessoires. Das Auto …
    Tim grinste unwillkürlich, als er an die Beulen in Vaters Limousine dachte und genau in diesem Moment vernahm, wie in der Küche Scherben in den Mülleimer geworfen wurden. Wie es aussah, sorgte Onkel Fredo im Alleingang für kapitale Flurschäden. Dann fiel der Blick des Jungen aufs Telefon, das er vor sich auf dem Sofatisch liegen hatte. Vielleicht ruft sie doch nicht an, schöpfte er einen Moment lang Hoffnung. Um sich dann einzugestehen: Sie würde anrufen. Frau Anatol zog ihre Ansagen konsequent durch, da gab es keine Gnade. Sie würde anrufen und seine Eltern sprechen wollen, oder wenigstens einen der beiden. Aber diesmal konnte Tim mit der perfekten Ausrede weiter auf Zeit spielen. Die Blase hielt zwar nur ein Vierteljahr, aber das war eine halbe Ewigkeit. Vielleicht wäre bis dahin das Universum längst im nächstgelegenen Schwarzen Loch implodiert. Bedaure, werte Frau Klassenlehrerin. Einen Tag zu spät. Meine Eltern weilen bis auf weiteres im Reich der Mitte. Hier gibt’s nur Minderjährige, eine Mumie und einen Volltrottel.
    Wie aufs Stichwort kam Fredo herein, in der Hand einen dampfenden Kaffeebecher. So, wie der Onkel den Blick durchs riesige Wohnzimmer schweifen ließ – Feldsteinkamin, diverse Sitzlandschaften, Panoramafensterfront, Hi-Fi und TV vom Feinsten –, registrierte Tim sofort, dass diese ganze tote Spießerpracht bei Fredo Eindruck hinterließ. Echt peinlich. Ein Grund mehr, sich extrabreit auf dem Sofa zu lümmeln.
    »Hi, Timmie.« Fredo hatte den Jungen gesichtet und hob den Kaffeebecher. »Willst du auch einen? Ist noch welcher in der Kanne …«
    Tim schüttelte nur den Kopf und sah zu, wie sich Fredo einen Sessel heranzog und den Becher schwungvoll auf dem Sofatisch plazierte. Ein paar braune Rinnsale schwappten über den Rand und folgten dem Gesetz der Schwerkraft, bis die Edelholztischplatte sie stoppte. Alles ohne Untersetzer. Mutter träfe der Schlag, wenn sie das sehen könnte.
    »Hab ein bisschen geschlafen«, plauderte Fredo munter weiter, »auf der Terrasse. Schön ruhig bei euch. Jedenfalls, bis so ein Zwerg nebenan damit anfing, seinen Schuppen mit ’nem Lederball abzureißen. Macht der das jeden Tag?«
    »Das ist Knödel. Der kann nix anderes.«
    »Soso.«
    »Und das kann er eigentlich auch nicht.«
    »Knödel. Tja, so sieht er aus.«
    »Eben.«
    Schweigen.
    Konversation ist wohl nicht so Timmies Ding, dachte Fredo. Der Junge trug immer noch das T-Shirt mit der Parole: STACHELDRAHT IM HARNKANAL.
    »Interessanter Schriftzug«, formulierte es Fredo vorsichtig. »Was bedeutet das?«
    »Songtext«, erwiderte Tim einsilbig.
    »Von wem?«
    »Rammstein.«
    »Na klar. Steht ja hinten auf dem Shirt.«
    »Eben.«
    Schweigen.
    Irgendwas nimmt er mir übel, überlegte Fredo. Vorhin lief es eigentlich ganz locker mit dem Jungen. Aber so, wie Timmie ihm jetzt gegenübersaß – hingelümmelt, Arme verschränkt, Beine breit –, spürte Fredo die Ablehnung des Jungen deutlich. Was treibt einen Vierzehnjährigen um? Teen Spirit. Ob Tim sich vorhin doch mehr als nur ein bisschen weh getan hatte und deswegen mit Fredo haderte? Oder wie oder was? Kompliziert. Kompliziert war es in Berlin genug. Hier bitte nicht. Wo bliebe denn da die Erholung? Ich muss mir etwas einfallen lassen, um den Jungen lockerer zu machen, dachte Fredo – reicht schon, wenn seine Schwester herumzickt. Vielleicht hilft es, wenn ich Tim klarmachen kann, dass ich wie ein Kumpel für ihn bin, ein großer Bruder, so was in der Art …
    Das schnurlose Telefon auf dem Sofatisch klingelte. Hastig schnappte Tim danach und nahm den Anruf entgegen, angespannt vornübergebeugt, keine Spur mehr von lässig.
    »Tim Fried … Hallo, Frau Anatol. Nein, meine Eltern sind leider nicht zu Hause, beide nicht … Heute Abend auch nicht …«
    Tim hielt inne und lauschte ergeben. Fredo spitzte die Ohren. Am anderen Ende der Leitung war eine Frau zu vernehmen, und die stand, ihrer Lautstärke nach zu urteilen, ziemlich auf der Zinne. Fredo identifizierte in der fetzenweise aus dem Telefon quellenden Schwadronade Schlagworte wie »faule Ausrede«, »Elterngespräch« und »Schulverweis«. Fredo erzappelte sich kurz Tims Aufmerksamkeit und flüsterte: »Lehrerin?«
    Tim nickte nur knapp und konzentrierte sich dann wieder auf die Anruferin. »Nein,

Weitere Kostenlose Bücher