Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mogelpackung: Roman

Mogelpackung: Roman

Titel: Mogelpackung: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Schröter
Vom Netzwerk:
besser in Deckung. Das ist gut für die Diplomatie. Okay?«
    Tim machte große Augen. Onkel Fredo wirkte wie aus dem Ei gepellt: feinster Nadelstreifenanzug mit Weste, frisches Hemd, diskrete Krawatte mit perfektem Windsorknoten, Haare gekämmt. Tim erschnupperte einen Hauch des sündhaft teuren Aftershave seines Vaters und nickte beeindruckt. Onkel Fredo ging wirklich mit Volldampf an die Sache heran. Es klingelte zum wiederholten Mal. Tim räumte das Feld und huschte lautlos die Treppe hinauf, um oben auf dem Absatz auf Horchposten zu gehen. Fredo wartete ab, bis sich der Junge außer Sicht befand. Dann öffnete er die Haustür.
    Im ersten Reflex wollte er die Tür sofort wieder zuschlagen. Die Frau draußen schien ähnlich zu empfinden, sie riss abwehrend beide Hände nach oben bis auf Brusthöhe. An dieser Deckung vorbei starrte sie Fredo entgeistert an, bis sie sich als Erste fing und die Fäuste sinken ließ. »Schmeißen Sie gleich wieder Steine?«
    Die Irre mit dem Golf, durchfuhr es Fredo. Die Frau, die ihm heute Vormittag am Ortseingang den Benz zerbeult und die er daraufhin mit der Psychopathen-Nummer in die Flucht geschlagen hatte. War das etwa …
    »Frau Anatol?«
    »Herr Fried?«
    Fredo versuchte es mit einem entwaffnenden Lächeln und streckte die offenen Hände vor. »Keine Steine.«
    »Dann könnte ich ja reinkommen. Wenn Sie mich lassen.« Sie lächelte nicht.
    »Bitte.« Fredo machte einladend Platz. »Und die Sache mit dem Stein vorhin – ich kann Ihnen das erklären …«
    Sie trat ein und blickte ihn kühl aus graugrünen Augen an. »Das können Sie bestimmt. Ich will es aber gar nicht hören. Am besten belassen wir es bei der Angelegenheit, wegen der ich eigentlich hier bin.«
    »Wie Sie wünschen. Aber diese Angelegenheit sollten wir doch wenigstens im Sitzen besprechen.«
    Die Lehrerin nickte und ließ sich von Fredo ins Wohnzimmer lotsen, wo sie ohne Umschweife auf dem Sofa Platz nahm. Fredo setzte sich in denselben Sessel wie vorhin und beobachtete, wie Helena Anatol etwas umständlich in ihrer ledernen Collegemappe kramte. Das gab ihm Zeit, sie genauer zu betrachten. Ihre Figur war eher zierlich, doch die ganze Person strahlte so viel Energie aus, dass sie außerordentlich präsent wirkte. Sie trug Jeans und ein sportlichweißes Sweatshirt. Das dunkle, fast schwarze Haar bildete einen reizvollen Kontrast zu den graugrünen Augen, und ihre vollen Lippen hätte Fredo gerne einmal lächeln gesehen. Aber darauf konnte man bei der Anatol offenbar lange warten. Lehrerin, hysterisch, Spaßbremse. Da war die Schönheit völlig verschwendet.
    Sie hatte anscheinend gefunden, was sie in der Mappe gesucht hatte, beließ es aber zunächst darin und nahm Fredo ins Visier. »Wie Sie ja bereits wissen, Herr Fried, geht es um Tim …«
    »Darf ich Ihnen etwas anbieten«, unterbrach Fredo und gab den jovialen Gastgeber, um sie gleich ein wenig aus dem Konzept zu bringen. »Einen Kaffee vielleicht?«
    Sie schüttelte kurz den Kopf und fuhr unbeirrt fort. »Seine schulischen Leistungen waren auch in den Klassenstufen sieben und acht nicht überragend. Jetzt, in der Neunten, haben sie aber noch mal stark nachgelassen. Können Sie sich erklären, woran das liegen könnte?«
    »Leider nicht. Aber ich habe ja auch nicht Pädagogik studiert.« Jedenfalls nicht sehr lange, fügte Fredo in Gedanken hinzu. Sie musterte ihn scharf. Versucht wahrscheinlich zu ergründen, ob das eben als Frechheit gemeint war oder ehrlich, dachte Fredo und lächelte unverbindlich.
    Helena Anatol nahm die Anklage wieder auf. »Das ist leider längst nicht alles. Ich kenne Tim erst seit gut einem halben Jahr. Aber meine Kollegen schildern ihn als ehemals stets fröhlichen, kontaktfreudigen, hilfsbereiten Jungen.«
    »Ehemals?«
    »Tim beteiligt sich nicht mehr am Unterricht. Das zieht sich durch alle Fächer. Im Klassenverband war er früher bei allen Mitschülern sehr beliebt. Jetzt ist er außen vor. Er redet kaum mit anderen, auch nicht außerhalb des Unterrichts – soweit wir das beobachten können. Und er ist aggressiv.«
    Das kommt davon, wenn man Sprüche wie STACHELDRAHT IM HARNKANAL auf der Brust spazieren trägt, dachte Fredo. Sorgt umgehend für schlechtes Image. »Er ist vierzehn. Da ist die Laune nicht sehr stabil«, versuchte er zu relativieren.
    »Seine Laune ist stabil. Durchgehend mies.« Helena Anatol zog einen großen gefalteten Bogen Papier aus der Collegemappe. »Das hat mir Frau Herzog gegeben, Tims

Weitere Kostenlose Bücher