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Mogelpackung: Roman

Mogelpackung: Roman

Titel: Mogelpackung: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Schröter
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Kunstlehrerin. Die Klasse hatte die Aufgabe, das Motto ›Mein schönster Tag‹ bildnerisch umzusetzen. Hier ist Tims Beitrag.«
    Fredo nahm den Bogen und breitete ihn aus: flächendeckend Explosionen in infernalischen Leuchtfarben, verzerrte Höllengesichter und umherfliegende, abgetrennte Gliedmaßen, aus denen es rot tropfte. Hardcore.
    Fredo schluckte.
    Die Lehrerin beobachtete ihn aufmerksam. »Haben Sie so etwas schon mal gesehen?«
    »Picasso?«, erwiderte Fredo zaghaft.
    Helena Anatol wollte gerade zur Predigt ansetzen, als in der Diele lautstarker Tumult losbrach. Tim kam rücklings ins Wohnzimmer, verzweifelt bemüht, Gesche zurückzuhalten, die, offensichtlich völlig außer sich und mit ungeahnter Kraft einen massiven Spazierstock schwingend, nachdrängte, nur kurz angesichts der fremden Person auf dem Sofa stutzte und dann sofort zur Attacke überging. »Diebin! Gemeine Diebin! Na warte, jetzt gibt’s was …!«
    Fredo ließ das Bild fallen und hechtete nach vorn aus dem Sessel, schoss wie eine Rakete quer über den Sofatisch und riss Frau Anatol mit sich. Gesches herabsausender Stock verfehlte um Haaresbreite seinen Hinterkopf, schlug wuchtig an Fredos Schulter und klopfte einmal kurz an die Stirn der Lehrerin. Die flatterte leicht mit den Augenlidern, war aber sofort wieder da. Während Tim seiner zeternden Urgroßmutter endlich den Stock entwand, blickte Fredo aus zwei Nasenlängen Entfernung in ein graugrünes Augenpaar. Die Welt stand still. Faszinierend.
    »Wenn Sie von mir runtergehen, krieg ich bestimmt wieder Luft«, keuchte sie.
    Ups. Fredo rappelte sich schleunigst auf. Helena Anatol atmete durch und erhob sich ebenfalls. Gesche funkelte sie immer noch zornig an, nun aber wenigstens unbewaffnet.
    »Was ist denn mit dir los!«, fuhr Fredo sie entnervt an.
    Gesches Empörung verpuffte. Sie zitterte jetzt mehr vor Erschöpfung als vor Wut. »Sie hat meine Schlaftabletten gestohlen«, klagte sie schwach und wies vorwurfsvoll auf die Lehrerin. »Sie hat sich heimlich eingeschlichen!«
    »Ich habe die Dame selbst hereingelassen, Gesche«, redete Fredo seiner Großmutter zu und strich ihr beruhigend über die Schulter. »Es ist Timmies Klassenlehrerin!«
    »Eine Diebin«, maulte Gesche trotzig und gähnte. Sie war völlig erledigt. Tim stand hilflos neben ihr und wagte es nicht, in Richtung seiner Lehrerin zu schauen. Was für ein Chaos, dachte er. Und ich habe einen Moment lang tatsächlich geglaubt, Onkel Fredo habe alles im Griff. Bloß weg hier. »Komm, Gesche, ich bring dich nach oben«, bot Tim an. Gesche nickte und ließ sich widerstandslos abführen.
    Fredo wandte sich verlegen an die Lehrerin, die steif neben dem Sofa stand und ihr verrutschtes Sweatshirt zurechtzupfte.
    »Entschuldigen Sie bitte diesen derben Auftritt …«
    »Wir sollten einen Termin in der Schule vereinbaren. Es war doch nicht so eine gute Idee, hierherzukommen.« Helena Anatol strich sich dabei unwillkürlich über die gerötete Stelle an der Stirn, an der Gesches Stock aufgeschlagen war. Eine leichte Schwellung begann sich abzuzeichnen.
    »Sie haben etwas abbekommen«, stellte Fredo besorgt fest.
    »Sie auch«, versetzte die Lehrerin trocken. »Der Anzug ist hinüber.«
    In der Tat. Das Jackett war an der Schulter aufgeplatzt, ein Ärmel fast abgerissen. Wäre James Bond nach einer Hechtrolle nie passiert, dachte Fredo. Aber 007 tritt ja auch nicht zusammen mit seiner Oma auf. »Ich steh sowieso nicht auf Hugo Boss.«
    »Warum tragen Sie ihn dann?«
    »Tribut an die Bürokonvention.«
    »Sie scheren sich um Konventionen? Wäre ich nicht drauf gekommen.« Sie raffte ihre Collegemappe vom Sofa. »Wenn wir nun bitte einen Termin festmachen könnten?«
    Wenn sie jetzt geht, wird es für Timmie noch bitterer, überlegte Fredo. Wie stehe ich dann vor dem Jungen da? Die Szene ist dir aus dem Ruder gelaufen, also musst du ins Steuer greifen. Im Dialog bleiben. Nicht abreißen lassen. »Zuerst kühlen wir Ihre Beule.«
    »Nicht nötig.«
    »Sonst laufen Sie die nächsten Tage als Einhorn herum. Und müssen sich in der Schule wüste Spekulationen darüber anhören, wie das wohl passiert ist.«
    Das zog offenbar. Sie wirkte zumindest unschlüssig.
    »In der Küche ist sicher noch Eis im Tiefkühlschrank«, setzte Fredo nach. »Gut gegen die Beule. Und wir beide setzen uns an den Tisch und gehen noch mal auf Anfang. Kommen Sie …«
    »Okay.« Die Anatol schien nicht restlos überzeugt zu sein, folgte ihm aber durch die Diele

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