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Mogelpackung: Roman

Mogelpackung: Roman

Titel: Mogelpackung: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Schröter
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wabernde Leichentuch im Kopf mit schrillen Tönen zu zerfetzen. Oder das Tuch so fest um sich herumgezogen, dass es alles darunter erstickte. Schluss mit allem. Ende, aus. Aber die Schlaftabletten waren weg. Karla und ihre blöde Maus. Das war natürlich Absicht von dem Mädchen. Sie will es nicht zulassen, dass mir ein Ausweg bleibt, dachte Gesche. Jetzt muss ich mir von Dr. Lorenz wieder neue Tabletten verschreiben lassen und monatelang sammeln.
    Jemand trabte polternd die Treppe hinunter. Gesche schreckte auf: Die Kinder waren doch zur Schule? Dann fiel ihr Fredo wieder ein. Das musste er sein. Wo Fredo war, tobte das Leben. Das war schon immer so. Jetzt hörte Gesche ihn, fröhlich pfeifend, durch die Diele schreiten, dann kam er zur Küchentür herein. Mit diesem ganz speziellen Fredo-Grinsen, einer charmanten Mischung aus Schalk und Verlegenheit. Ohne genau zu wissen, warum eigentlich, ging es Gesche gleich etwas besser.
    »Moin, Gesche. Was gibt’s zum Frühstück?«
    Gesche zeigte ihm einen Vogel. »Schulkinder kriegen Frühstück. Spätaufsteher nicht. Bald ist Mittagszeit.«
    »Ist Tim auch losgefahren?«
    »Der war sogar noch vor Karla weg. Zu Fuß, weil sein Rad kaputt ist.«
    »Ach ja.« Fredo fiel die demolierte Benz-Kofferklappe ein. Ein Bild, das er schnell wieder verdrängte.
    »Und was frühstückst du nun?«, erbarmte sich Gesche. »Kaffee würde ich dir ja noch kochen.«
    »Lass man.« Fredo öffnete die Kühlschranktür, überblickte kurz die Vorräte und entschied sich für Orangensaft und zwei Bananen. »Was für Affen gut ist …« Er setzte sich mit seiner Beute zu Gesche an den Küchentisch. »Geht’s dir heute wieder besser?«
    »Was meinst du damit?«
    »Du hast dich gestern höllisch aufgeregt, weil deine Tabletten weg waren. Du weißt doch noch, dass du mit dem Stock auf Timmies Lehrerin losgegangen bist?«
    »Sei nicht albern. Selbstverständlich weiß ich das.«
    »Das war ganz schön heftig.«
    In Gesches Blick blitzte plötzlich gewohnte Autorität. »Ich dulde keinen Diebstahl in diesem Haus! Und nun: Schluss damit. Ich muss einkaufen gehen. Sonst gibt’s kein Mittagessen.«
    Gesche hielt ihren Einkaufszettel in der Hand umklammert wie einen Einsatzbefehl. Okay, dachte Fredo, Schwamm drüber. »Ich könnte dich fahren. Hab eh nichts Besonderes vor.«
    »Ist gut«, murmelte Gesche, schon wieder in ihren Zettel vertieft. Eier, Mehl, Milch. Das war noch nicht alles, ahnte sie. Eine Million Pfannkuchen im Leben gebacken – aber sie kam einfach nicht darauf, was noch fehlte. Erbärmlich. Reiß dich zusammen, Gesche.
    Fredo befürchtete zunächst spitze Kommentare seiner Großmutter über das angeschlagene Erscheinungsbild des Mercedes. Aber Gesche schien die Blessuren in der Karosserie gar nicht zu bemerken. In sich gekehrt nahm sie auf dem Beifahrersitz Platz und ließ sich chauffieren. Fredo setzte die Limousine schwungvoll im Rückwärtsgang aus der Auffahrt. Die ausladenden Zweige eines Rhododendrons schmirgelten über die Wagenflanke. Völlig irre, so ein Riesenteil derartig dicht an den Weg zu pflanzen.
    »Wo wollen wir denn hin?«
    Gesche wandte sich ihm langsam zu, wie aus tiefstem Traum erwachend. »Wie immer. Bäcker Lohse, dann zu Feinkost-Lehmann. Küchenpapier brauchen wir auch …«
    »Kriegen wir alles im Supermarkt«, unterbrach Fredo. »Ihr habt doch jetzt einen neuen, hab ich gesehen! Ist viel unkomplizierter, wirst schon sehen.« Er schlug die Richtung ein, aus der er gestern gekommen war.
    Unkompliziert ist gar nichts, dachte Gesche. Aber sie schwieg und ließ die Straßen an sich vorüberziehen. Saubere Wege, gepflegte Hecken. Gesche kannte hier jede Ecke. Die meisten Menschen auch, früher natürlich mehr als heute. Damals, als sie noch die kleine Postfiliale geleitet hatte, in der ganz Bornstedt ein und aus ging. Gleich würden sie am Haus von Käthe Hermann vorbeifahren. Käthe war im gleichen Jahr wie sie aus Hamburg gekommen. Sommer 1948, gleich nach der Währungsreform. Gesche spähte aus dem Seitenfenster: Da war das Haus. In der Einfahrt parkte ein protziger Jeep, eine junge Frau ließ gerade ihren zotteligen Hund aussteigen. Gesche kannte weder das Auto noch den Hund, von der Frau ganz zu schweigen.
    Alles anders. Gesche krampfte die Rechte um den Türgriff, damit sie nicht zitterte. Hier drinnen war man sicher. Fredo fährt mich, da kann nichts passieren, beruhigte sich Gesche. Ist ein Filou, mein Fredo, kommt immer durch. Am liebsten würde sie

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