Mogelpackung: Roman
erkannte manche Namen über den Läden wieder. Bei einigen schienen sogar die Auslagen in den Schaufenstern unverändert geblieben zu sein. Ein Pulk schnatternder Schulmädchen zog auf Fahrrädern an Fredo vorüber wie ein zwitschernder Spatzenschwarm. Vor der Drogerie überboten sich drei junge Mütter mit Entwicklungsberichten ihrer Sprösslinge, während sich hinter ihren Rücken der hoffnungsvolle Nachwuchs wechselseitig in den Dreck schubste. Zwei Rentner diskutierten lautstark die Lage der Nation und befanden, dass früher alles besser gewesen war. Fredo fand, es war alles genau wie sonst – jedenfalls hier in Bornstedt. Sogar die drei abgerissenen Gestalten auf der Bank hinter dem Denkmal für den Befreiungskampf von 1848 sahen so aus, als würden sie sich genau hier gefühlt seit dem Schleswig-Holsteinischen Aufstand mit Billigbier die Kante geben, und zwar täglich. Alle kennen sich und grüßen sich, dachte Fredo. Oder grüßen sich nicht, eben weil sie sich kennen. Aber alle gehören dazu. Bloß ich schwebe hier durch die Gegend wie ein Marsmännchen. Obwohl, als Marsmensch würde er zumindest Aufsehen erregen. So beachtete ihn niemand. Bornstedt und er, das war so, als befänden sich Ort und Bewohner in einem Goldfischglas und gäben sich zufrieden damit, während er draußen vor dem Glas stand und längst auf Lungenatmung umgestellt hatte. Aber vielleicht war das im Glas ja das wahre Leben – und er lag draußen auf dem Trockenen und schnappte nach Luft?
Bornstedt deprimierte ihn. Hatte er ja geahnt. Ob es ihm woanders besser ginge, bezweifelte Fredo allerdings auch. Hier gab es wenigstens einen gut bestückten Weinkeller. Was immer man Schlechtes über Markus sagen konnte – und dazu fiel Fredo so einiges ein –, als Weinkenner bewies sein Bruder Klasse. Also ab in den Keller und ein Therapietröpfchen für den Abend aussuchen. Beim Gedanken daran kam ihm Helena Anatol und ihre zerbrochene Weinflasche in den Sinn. Bestimmt fand sich unter Markus’ flüssigen Schätzen passender Ersatz dafür. Diese schöne Idee versetzte Fredo umgehend einen Energieschub. Beschwingt spazierte er zurück zum Wagen und fuhr zur Villa.
Diesmal parkte er den Mercedes in der Garage. Tims Fahrrad stand nicht mehr dort. Dafür öffnete sich bereits die Haustür, als Fredo noch gute zehn Meter davon entfernt war.
»Adiós, Karlita«, verabschiedete sich Juliane Färber gerade von ihrer Klassenkameradin, als sie den herannahenden Fredo bemerkte. »Hey – da ist er ja …!«
Die blonde Gazelle, die mir fast in die Karre gelaufen ist, erkannte Fredo und baute dem erwarteten Lamento vor: »Hallo. Tut mir leid, meine Unachtsamkeit vorhin. Ich war mit meinen Gedanken woanders.«
Juliane lachte geziert. »Ich kann mir schon denken, wo …«
Die mustert mich sehr merkwürdig, fand Fredo. Irgendwo zwischen anzüglich und neugierig. Karla wirkte dagegen peinlich berührt, fast ertappt.
»Wir sehen uns dann ja morgen«, versuchte sie Julianes Abgang zu beschleunigen. Doch die dachte gar nicht daran, das Feld zu räumen, solange hier noch Sensationen in der Luft lagen. Sie zwinkerte Fredo vertraulich zu und reichte ihm die Hand.
»Ich bin die Juliane.«
»Fredo.«
»Weiß ich doch längst.« Noch ein neckisches Zwinkern.
»Aha. Na, dann schönen Tag noch. Hi, Karla.«
Gleich geht er an mir vorbei ins Haus, dachte Karla, und Juliane glotzt immer noch und hat schon dieses ungläubige Grinsen im Gesicht. Die nimmt mir das mit Fredo nicht mehr ab. Dann bin ich durch bei ihr. Und wenn sie das erst weitertratscht …
Fredo spürte plötzlich zwei Mädchenarme um den Hals, die seinen Kopf nach unten zogen, blickte in die Großaufnahme eines ängstlich aufgerissenen Augenpaares – hellblau mit Silberglanz – und fühlte, wie sich verkrampfte Lippen auf seinen Mund pressten. Bevor er seine Verblüffung überwand, war es schon wieder vorbei. Karla löste sich von ihm, strahlend. »Das ist sooo süß von dir, dass du schon wieder da bist! Komm rein. Ciao, Juliane!«
Damit zog sie ihren verdatterten Onkel mit sich über die Schwelle ins Haus und knallte die Tür hinter sich zu – nicht, ohne einen letzten Blick auf Juliane zu erhaschen, die mit offenem Mund dastand, sprachlos.
8.
F redo brauchte ein paar Sekunden, bis er sich von der Überraschung so weit erholt hatte, dass er seine Nichte bei den Schultern packen und zu sich herumdrehen konnte. »Was war das denn?«
»Bilde dir bloß nichts darauf ein!« Damit
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