Mogelpackung: Roman
Naturbursche sein. Mir sollte bei diesem Anblick das Herz aufgehen. Stattdessen freue ich mich, dass die Chaussee frei ist und ich mit dem Benz darüberbrettern kann. Dabei habe ich nicht mal ein Ziel. Muss nirgendwo hin. Vielleicht ist das ja das Problem, überlegte er weiter. Zu viel nirgendwo. Guck dir lieber den Ort an. Bist noch gar nicht richtig wieder durch Bornstedt flaniert. Fredo riss den Wagen in eine Abzweigung und folgte dem Richtungshinweis »Bornstedt«. Kühe, Wiesen, etwas Wald. Noch mehr Kühe. Dann tauchten die ersten Häuser seiner alten Heimat vor ihm auf.
Heimatgefühle erweckte das allerdings immer noch nicht in ihm. Immerhin erinnerte er sich angesichts der Kirche an seine Konfirmationszeit. Weniger an die Feier an sich als vielmehr an die Konfirmationsstunden. Mittwochnachmittag, siebzehn Uhr. Fredo hatte sich immer neben Katrin Gehrke gesetzt, die schon als Fünfzehnjährige mit üppigen Rundungen glänzte und ihre körperlichen Attribute mit großzügig geschnittenen Dekolletés und neckisch geöffneten Blusenknöpfen gekonnt in Szene zu setzen verstand. Von allen erbaulichen Inhalten des Konfirmandenunterrichts war ihm nichts geblieben als die Erinnerung an Katrins sanft geschwungene Brusthügel und seine unentwegten, fiebrigen Wachtraumspekulationen darüber, wie es wohl weitergehen würde – dort, wo ihre Kleidung die zwar zumeist großzügig präsentierte, doch leider nur teilweise entblößte Verheißung bedeckte. Dabei über Kategorien wie Himmel und Hölle nachzudenken, wäre Fredo nicht eingefallen. Neben einem Geschöpf wie Katrin Gehrke konnte man dem Himmel nicht näher sein – nicht einmal in der Kirche.
Zur Religion hatte Fredo nie gefunden. Als er nun in seinem Wagen die alte Feldsteinkirche passierte, versuchte er, die Namen der zwölf Jünger Jesu zu rekapitulieren, und scheiterte kläglich. Das störte ihn nicht weiter. Bedenklicher fand er schon, dass er zweifellos auch bei der Aufzählung aller Frauen, die er seit seiner Konfirmandenschwärmerei angehimmelt hatte, unweigerlich scheitern würde.
Fredo schaltete hart einen Gang herunter und ärgerte sich ein wenig über seine Grübelei. Mach doch mal Urlaub, Fredo. Sei als Tourist hier. Hier ist der Marktplatz. An beiden Enden jeweils von einem Bankhaus flankiert, damit auch in dieser Kleinstadt gleich jedem klar ist, wo der Hammer hängt. Marktfläche mit historisierendem Kopfsteinpflaster, auf einem Steinsockel in der Mitte eine Rolandfigur mit grimmiger Miene und erhobenem Schwert. Fredo parkte den Benz vor einem langgezogenen, doppelstöckigen Gebäude, dessen altes Mauerwerk von zwei Reihen hölzerner Sprossenfenster und einer gerundeten, zweiflügeligen Pforte durchbrochen war. Das Bornstedter Renommierbauwerk – das Schloss. Eigentlich kein Schloss, sondern ein Gut. Und eigentlich nicht einmal das ehemalige Gutshaus, sondern lediglich das einstige Torhaus des Anwesens. Aber immerhin, dachte Fredo. Und die Geschichte des Bauwerks hätte auch ein Drehbuchautor nicht besser hingekriegt: Eine kesse Bornstedter Bauerstochter hält im nahen Flüsschen ihren Waschtag, als ein edler Herr samt Gefolge über die nahe Brücke reitet, angesichts der Wonnemaid eine Vollbremsung hinlegt und auf der Stelle dem Charme der Wäscherin erliegt. Es handelt sich bei dem kecken Recken um keinen Geringeren als den dänischen König höchstselbst, und die propere Bornstädterin nutzt die Gunst der Stunde. Sie schafft es sogar, aus der Zufallsbekanntschaft eine langjährige Beziehung zu machen, die ihr zwar nicht den Trauschein, aber zwei Kinder und das ansehnliche Gut einbringt. Ein strammer Plot, überlegte Fredo. Veronica Ferres in der Hauptrolle, oder Sophie Schütt. Till Schweiger als königlicher Casanova. Aber du willst ja gar nicht arbeiten. Du hast Urlaub.
Er legte die Parkscheibe aufs Armaturenbrett und stieg aus. Ein Wunder, dass ich mich überhaupt noch an diese Geschichte aus dem Heimatkundeunterricht erinnere, dachte er. Liegt wahrscheinlich daran, dass ich mich in der Grundschule noch nicht von Frauen habe ablenken lassen.
Fredo schlenderte gemächlich durch den Ort. Weitläufig war Bornstedt nicht. Eine gewachsene Ortsmitte gab es wenigstens. Im Umfeld von Kirche und Marktplatz stieß man nicht nur auf die ewig gleichen Filialen der in jeder deutschen Kleinstadt präsenten Handelsketten, sondern auch noch auf die Läden lokaler Geschäftsleute – die meisten davon seit Generationen im Familienbesitz. Fredo
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