Mogelpackung: Roman
der Rasen schrie nach dem Platzwart – so viel erkannte sogar er. Leider schien sich niemand für diesen Job zu interessieren. Er auch nicht. Stattdessen genoss er die Ruhe auf seiner Terrasse und ließ sich von der Sonne kitzeln. Sein Deckchair stand weit genug vom Netz der Monsterspinne entfernt. Wenn sie sich die Terrasse teilten, gab es immer noch genug Platz für jeden, hatte Fredo pragmatisch entschieden. Die Spinne (oder eine Artverwandte) war längst in ihr Netz zurückgekehrt, in dem mittlerweile so viel Insektenbeute hing, dass es garantiert den Sommer lang reichte. Falls das Biest nicht vor Verfettung aus dem eigenen Netz fiel, gäbe es überhaupt keinen Grund für das Monster, seine Lauerstellung zwischen Hauswand und Sonnendach zu verlassen. Und Fredo würde sich hüten, noch einmal in die Nähe des Netzes zu geraten. Eigentlich konnte man von dem Vieh nur lernen, fand er. Sei nicht das Opfer im Netz, sondern der Nutznießer. Perfekte Nische suchen, Hängematte knüpfen, reinlegen und sich das Futter quasi in den Mund fliegen lassen. Dagegen ist selbst der Besuch eines Drive-ins noch anstrengende Nahrungsbeschaffung.
Fredo biss genüsslich in einen kalten Pfannkuchen – Überbleibsel vom Mittagessen – und spülte mit einem Schluck göttlichem Gesche-Kaffees nach. Dabei tropfte ihm etwas braune Brühe aufs Hemd. Was ihn schon deswegen nicht störte, weil das Hemd (freizeittaugliches Flanell) ebenso wie die Shorts, die er gerade trug (Leinen, bequem), seinem Bruder Markus gehörten. Fredo hatte ursprünglich erwogen, für einen Tag nach Hamburg zum Powershoppen zu fahren, um sich neu einzukleiden. Angesichts Markus’ gut gefülltem Kleiderschrank hatte er diesen Plan umgehend verworfen. »Alles deins!«, war die unmissverständliche Ansage von Markus gewesen. Und wer will schon seinen großen Bruder enttäuschen?
Fredo griff zur Tageszeitung, übersprang alle anstrengenden Beiträge und blätterte sich rasch durch bis zum Sportteil. Normalerweise hätte dieser Lektüre seine ganze Aufmerksamkeit gegolten, aber irgendetwas störte sein Unterbewusstsein und ließ ihn immer wieder abschweifen. Monsterspinne? Fredo lugte vorsichtig hinüber zum Netz des Untiers – die Spinne saß in ihrer angestammten Mauernische am Rande des Reviers aus Seidenfäden und verdaute. Doch ein Stück weiter links neben der Terrasse, in der Hecke – da hockte eine Gestalt, nur unzulänglich durchs Gebüsch verborgen. Was auch daran lag, dass die Gestalt zwar klein, aber ziemlich rund war. Fredo legte die Zeitung weg.
»Knödel? Was machst du da?«
Der pummelige Junge trat schuldbewusst einen Schritt nach vorn aus der Deckung, blieb dann aber stehen und sah Fredo trotzig an. »Ich heiße nicht Knödel!«
»’tschuldigung. Daniel, richtig?«
Der Junge nickte, blieb jedoch stehen und raffte sich auch sonst zu keiner Äußerung auf. Fredo griff eiskalt wieder zur Zeitung und spannte sie als Sichtschutz auf.
»Meine Mutter war echt sauer.«
Fredo ließ entnervt die Zeitung sinken und wollte schon derbe kontern, da sah er Daniels Gesicht. Der Junge grinste über beide Backen – bei Knödel also ein ziemlich breites Grinsen. Fredo grinste zurück.
»Das hat dir gefallen?«
Daniel nickte erneut, diesmal ganz entschieden. »Immer das Getue um ihren bescheuerten Wäscheständer!«
»Tja, um Wäsche sollte man wirklich nicht allzu viel Getue machen«, pflichtete ihm Fredo bei.
Nun traute sich Daniel endlich auf die Terrasse. »Hast du deshalb Flecken auf dem Hemd?«, erkundigte er sich.
»Das trägt man so in Berlin«, behauptete Fredo kühn.
Knödel-Daniels Augen rundeten sich bewundernd. »Du kommst aus der Hauptstadt? Na dann – wahrscheinlich deshalb …«
»Wahrscheinlich was?«
»Weißt du, wie weit es von hier bis zu Mamas Wäscheständer ist? Das sind locker hundert Meter! Das war ein Hammerschuss! Hast du den immer drauf?«
»Aus dem Stand«, brüstete sich Fredo. »Jederzeit!«
Daniel staunte angemessen. »Wow. Hammer. Wenn ich das könnte …«
»So, wie euer Schuppen immer scheppert, würde ich sagen: Du schießt auch nicht schlecht.«
»Danke«, strahlte Daniel – aber dann verfinsterte sich seine Miene. »Mein Trainer meckert trotzdem immer nur an mir rum.«
»Hey, du spielst in einem Club? Hier in Bornstedt?«
»Mmh. Beim SCB. Aber meistens werde ich nur eingewechselt. Höchstens für ein paar Minuten. Manchmal auch gar nicht.« Knödel sah jetzt eher aus wie ein Trauerkloß. »Ich bin
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