Mogelpackung: Roman
zu langsam, sagt der Trainer.«
So siehst du aus, dachte Fredo. »Ist eben nicht jeder ein Sprinter«, versuchte er zu trösten.
Daniel nickte. »Sag ich auch immer. Und überhaupt, wenn ich so weit schießen könnte wie du – dann bräuchte ich kaum noch laufen! Das wäre was …«
Fredo sah den unglücklichen Jungen an, dann schweifte sein Blick hinüber zum Garten. »Ich könnte es dir ja beibringen«, schlug er vor, einer plötzlichen Eingebung folgend.
»Echt? Jetzt gleich?« Daniels Strahlen schaltete sich an wie ein Halogenspot. »Ich hol den Ball!«
Der Junge wollte schon von der Terrasse hüpfen, als Fredo ihn zurückrief. »Moment noch, Daniel!«
Knödel blieb stehen und sah sich erwartungsvoll um.
»Wir sind Profis, Junge. Profis brauchen optimale Bedingungen. Und Profis machen nichts umsonst.«
»Willst du Geld dafür?«, erkundigte sich Knödel verunsichert. »Ich hab aber keins …«
Fredo erhob sich aus seinem Deckchair, reckte sich genüsslich und trat zu Daniel. »Siehst du den Rasen? Sehen so optimale Bedingungen für hohe Fußballkunst aus?«
Der Junge schaltete sofort. »Ich mähe den Rasen – du zeigst mir den Schuss?«
Dick, aber nicht dämlich, dachte Fredo zufrieden und nickte.
Speedys Fell sah gar nicht mehr gut aus. Keine Spur von Samt und Seide, eher wie ein räudiger Teppich vom Sperrmüll. Karla meinte zunächst, die kleinen Mauseaugen hätten sich geschlossen. Bis sie bemerkte, dass die jetzt fehlten – wie bei einem abgeliebten Kuscheltier. Überhaupt erinnerte der kleine Leichnam mittlerweile mehr an Abfall als an ein Lebewesen. Karla staunte über diese Verwandlung. Gleichzeitig ekelte sie sich davor. Trotzdem starrte sie gebannt auf die geöffnete Schachtel in ihrer Hand. Beim Menschen würde es genauso aussehen, bloß in größerem Maßstab. Das wird mal aus mir, dachte Karla schaudernd. Wohl nicht so bald, hoffentlich, aber irgendwann …
Das Nachher war genauso ein Rätsel wie das Vorher. Sie hatte mal eine Fotoserie über die menschliche Entwicklung von der befruchteten Eizelle bis zum Embryo gesehen. Diese merkwürdigen Glibberzombies im Frühstadium kamen Karla nicht so vor, als hätten sie auch nur ein bisschen mit ihr gemein. Und als verrottendes Stück Kompost konnte sie sich selbst auch nicht vorstellen. Wenn man aber doch die allermeiste Zeit noch gar nicht da war oder schon wieder weg und dabei so unvorstellbar anders – warum war das Leben dann nur so wichtig?
Und: Was war daran so wichtig?
Speedy roch nicht mehr gut. Karla schloss die Schachtel. Sie wollte nicht mehr hineinsehen. Zum Wegwerfen oder Vergraben konnte sie sich aber auch noch nicht durchringen. Also holte sie eine Rolle Paketklebeband und umwickelte die Schachtel damit in dicken Lagen, jede Ritze abdichtend. Vielleicht ließ sich so der Verfall aufhalten. Aber das hat schon bei den alten Ägyptern und ihren Mumien nicht richtig funktioniert, dachte Karla. Trotzdem, so würde sie Speedy aufbewahren. Fürs Erste wenigstens.
Sie legte die Schachtel zurück auf den Mauersims und starrte durch die großen Wintergartenfenster nach draußen. Das Vorher und Nachher ist unbekannt, das Jetzt ist bekannt, also ist das Leben wichtig, folgerte Karla. Meins jedenfalls, für mich. Und andere sollen mich gefälligst auch wichtig finden. Mit Juliane hatte das super geklappt, für den Anfang wenigstens. Seit der Nummer mit dem Kuss war Karla die Einzige ihrer ganzen Klasse, die von Juliane wie eine Gleichgestellte behandelt wurde. Und Juliane hatte dafür gesorgt, dass die Geschichte bei den anderen durchsickerte. Eine Außenseiterin war Karla auch zuvor nie gewesen, aber jetzt strahlte ihr Stern in bislang ungekanntem Glanz. Die Frage war bloß, für wie lange noch. Juliane fing allmählich damit an, etwas lästig danach zu fragen, ob man nicht mal zu dritt etwas unternehmen könnte – vielleicht an die Ostsee fahren oder so, Fredo hätte doch ein schnelles Auto. Außerdem bohrte Juliane ständig nach neuen Einzelheiten über Karlas Beziehung zu ihrem Freund. Karla wusste schon kaum noch, was sie alles darüber erfinden sollte. In Julianes Ohren klangen diese Geschichten wohl auch ziemlich lau. Juliane verfügte eben über reichlich einschlägige Erfahrungen mit Männern. Da konnte Karla nicht gegenhalten. Und ihre Vorstellungskraft in dieser Hinsicht war trotz aller Liebesfilme, die sie bisher mit eher geringem Interesse im Fernsehen verfolgt hatte, nicht besonders ausgeprägt.
Mit dreizehn
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