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Mogelpackung: Roman

Mogelpackung: Roman

Titel: Mogelpackung: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Schröter
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weitestgehend durchwachten – Nacht nicht von ihr gewichen. An Frühstück war nicht zu denken gewesen. Und obwohl sie nichts gegessen hatte, fühlte sich Karla wie knapp vorm Erbrechen.
    Rosendahl, der Chemielehrer, stand schon vorn, nestelte aber noch umständlich an einem Beamer herum. Demzufolge herrschte noch jede Menge Unruhe unter den Schülern – allerdings nur, bis Karla den Raum betrat. Jedes Gequatsche, jeder Laut erstarb so abrupt, dass Rosendahl irritiert seine Tätigkeit unterbrach und verstört über den Rand seiner Brille auf sein Publikum blinzelte.
    Karlas Füße wurden schwer, als stakste sie mit vollgelaufenen Gummistiefeln durch immer tieferen Morast. Sie zwang sich dazu, nicht einfach umzudrehen und davonzulaufen, konzentrierte sich auf jeden Schritt, bis sie endlich ihren angestammten Sitzplatz neben Juliane erreichte. Erst als sie davorstand, bemerkte sie, dass dort bereits jemand saß. Annalena, ein klapperdürres Zicklein mit Magersuchtpotenzial.
    »Besetzt«, zwitscherte Annalena in die atemlose Stille – und die Spannung entlud sich in kollektivem Gelächter, als hätte Annalena den Witz des Jahrhunderts gerissen. Karla hätte einfach abtreten und einen freien Tisch wählen können. Aber irgendwo in ihr regte sich Kampfgeist.
    »Verzieh dich, du Lachtaube«, fuhr sie die zusammenzuckende Kontrahentin barsch an, als allmählich wieder Ruhe einkehrte.
    »Wie wichtig sich manche Leute nehmen«, zickte Annalena, sammelte aber ihre Sachen ein und räumte das Feld. Karla beachtete sie nicht weiter, sondern richtete ihre Aufmerksamkeit auf Juliane Färber, die als Einzige im ganzen Saal bislang erfolgreich simulierte, die Ankommende gar nicht bemerkt zu haben. Sogar noch, als Karla sich jetzt anschickte, neben ihr Platz zu nehmen. Doch kaum saß Karla, rümpfte Juliane übertrieben irritiert das hübsche Näschen und schnüffelte nach allen Seiten. Um dann angeekelt das Gesicht zu verziehen, wortlos ihre Sachen zusammenzuraffen und schleunigst Annalena nachzueilen, die weit abseits an einem freien Tisch Platz bezogen hatte. Die komplette Klasse feierte ihre Darbietung mit ungezügelter Heiterkeit, bis Rosendahl dem Treiben ein Ende setzte, indem er den Beamer endlich zum Laufen brachte und einen staubtrockenen Vortrag über das Periodensystem der Elemente abzuspulen begann. Karla versuchte, stur geradeaus zu blicken und nicht zu zwinkern. Ich weine nicht, dachte sie. Keine Tränen.
    Das sind bloß Wasser, Salz und ein paar Proteine.

    »Echt, Mann, alles nur Fake! Die völlige Verarschung!«
    Tim stand mit Patrik Stenzel in ihrer gemeinsamen Lieblingsecke hinter der Turnhalle. Hier gab es einen Dachüberstand, der vor Regen schützte – wenn es denn regnete. Außerdem war man abseits vom Trubel des Pausenhofs und wurde weitgehend in Ruhe gelassen. Nicht, dass man Tim und Patrik noch großartig mit Sticheleien quälte. Sie beide waren so was von außen vor, dass man sie nicht einmal mehr mobbte. Das Pariadasein hatte eben auch seine guten Seiten.
    Patrik, wie üblich in Schwarz und mit fettigem Pferdeschwanz, las sich eben die Ballade durch, deren Text ihm sein Freund auf einem Blatt Papier in die Hand gedrückt hatte, und brummelte vor sich hin: »Ist doch ’ne starke Story. Schiff brennt, Superheld am Steuer, großes Kino!«
    »Alles Verarschung«, beharrte Tim. »In Wirklichkeit hieß das Schiff ›Erie‹, nicht ›Schwalbe‹!«
    »Na und? Eminem heißt eigentlich Marshall Bruce Mathers, das stört doch auch keinen.«
    »An Bord befanden sich zwischen zwei- und dreihundert Passagiere«, erklärte Tim, ungeachtet des Einwands. »Als das Schiff in Brand geriet, hat man nicht auf den heldenhaften John Maynard gewartet. Der Name taucht auf der Besatzungsliste überhaupt nicht auf …«
    »50 Cent ist Curtis James Jackson«, deklamierte Patrik mit seiner hellen Eunuchenstimme, »Fergie ist Stacy Ann Ferguson, Symbol ist ›The Artist Formerly Known As Prince‹ …«
    »… und John Maynard war in Wirklichkeit ein Rudergänger namens Luther Fuller!«
    »Sag ich doch. Namen sind Schall und Rauch. Das macht aber die Story nicht schlechter.«
    »Lässt du mich endlich ausreden, du Kasper?«, stöhnte Tim genervt.
    »Okay.«
    »Hör zu«, nahm Tim den Faden wieder auf. »1841 gerät der Dampfer auf der Fahrt von Buffalo nach Erie in Brand. Löschversuche sind unmöglich, man kommt nicht an den Brandherd heran. Man versucht, Rettungsboote auszusetzen, aber alle bis auf eines kentern

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