Mogelpackung: Roman
immerhin. »Entschuldige, Wolfgang. Ich wollte dich nicht verletzen.«
»Schon gut«, entgegnete er verschnupft.
»Wir machen jetzt Schluss, okay? Es war genug Wein und ein netter Abend. Aber es ist spät, und gestern war ich auch nicht früh im Bett …«
»Ich weiß.«
Der Blick, mit dem ihr Kollege sie bei dieser Bemerkung streifte, ließ Helena aufmerken. Aber im nächsten Moment winkte Wolfgang schon den Kellner herbei. Sie zahlten und verließen das Lokal. Draußen atmeten sie die verheißungsvoll milde Nachtluft. Helena reichte Köhler die Hand zum Abschied.
»Bis morgen dann.«
Köhler zögerte, und einen Moment lang befürchtete Helena, er würde den Versuch starten, sie zu umarmen. Aber dann ergriff er doch bloß ihre Hand.
»Bis morgen.«
Sie trennten sich, und Helena genoss den kleinen Spaziergang zurück zu ihrer Wohnung. Sosehr sie zuletzt unter ihrer selbst auferlegten Einsamkeit gelitten hatte, den Trubel der letzten Tage empfand sie auch als anstrengend. Gott hat eine Aufgabe für uns, jeden Tag. Hoffentlich nicht, kicherte sie in sich hinein. Aus Wolfgang Köhler wurde sie einfach nicht schlau. Als religiöser Eiferer war ihr der Kollege bislang nicht aufgefallen. Andererseits entpuppten sich Menschen manchmal als echte Überraschungseier. Vor allem Männer.
Vor Helenas Haus lag die Straße in friedlicher Stille. Umso mehr erschrak die Lehrerin, als sich plötzlich ein Schatten aus dem Eingangsbereich löste und direkt auf sie zusteuerte. Ein Mann.
»Hallo. Wie schön.«
Helena erkannte die Stimme und überwand ihren Fluchtreflex.
»Hallo …«
Fredo trat jetzt zu der jungen Frau, die im Licht der nächstgelegenen Straßenlaterne abwartend stehen geblieben war. Die dunklen Haare verschatteten Helenas Gesicht, so dass ihre Miene für ihn weitgehend unsichtbar blieb.
»Ich bin etwas verunsichert«, offenbarte Fredo lächelnd.
»Wegen … gestern?«
»Siezen wir uns noch, oder sagen wir schon Du zueinander?«
Helena lächelte zurück. »Mit ›Herrn Fried‹ käme mir das Erlebnis noch irrealer vor als ohnehin schon.«
»Also: Guten Abend, Helena.«
»Guten Abend, Fredo. Woher weißt du, wo ich wohne?«
»Briegel. Lars Schulz. Du hattest was bei mir vergessen. Ich hab’s in deinen Briefkasten geworfen. Hast du eigentlich keinen Anrufbeantworter?«
Sie schüttelte den Kopf. Dabei fiel das Laternenlicht auf ihr Gesicht. Helena sah müde aus. Trotzdem schön, fand Fredo.
»Wäre das hier nicht Bornstedt, würde ich ja vorschlagen, noch irgendwo einen Schlummertrunk zu nehmen. Aber ich fürchte, hier sind überall die Luken dicht.«
»Bei mir auch«, lächelte Helena. »Außerdem weiß man ja nun, wie es läuft, wenn wir einen Schlummertrunk zusammen nehmen.«
»Eben drum«, stellte Fredo hoffnungsvoll fest. »War doch schön!«
Helena nahm ihm umgehend den Wind aus den Segeln. »Sogar einmalig schön. Betonung auf einmalig. Und müde bin ich auch.«
»Na dann … gute Nacht, Helena.«
»Gute Nacht, Fredo.«
Er wandte sich ab und schritt davon. Einfach so. Das fand Helena irgendwie enttäuschend. Obwohl sie wirklich hundemüde war und es sie garantiert schrecklich genervt hätte, wenn Fredo mit weiteren Überredungsversuchen gekommen wäre. Er ist eben bloß auf schnelle Beute aus, dachte sie. Nicht zu viel investieren, kommt die eine nicht, kommt eben die nächste. Für Männer wie Fredo Fried sind Frauen austauschbar. Ganz gut, da auf Distanz zu gehen. Alles richtig gemacht, Helena. Ab und zu machst du auch mal etwas richtig.
Sie wartete ab, bis Fredos Schritte verklungen waren, ging zu ihrer Haustür und schloss auf. Dann fiel ihr ein, dass Fredo etwas in den Briefkasten geworfen haben wollte. Helena sah nach und fand eine kleine Plastiktüte. Darin eine frisch erblühte Rose, ihren sauber zusammengelegten Büstenhalter und ein Pappkärtchen mit der handschriftlichen Botschaft: »Vielen Dank für das bezaubernde Geschenk. Die Verpackung mit herzlichsten Grüßen zurück.«
17.
NEWSFLASH FAMILIE FRIED:
Gesche: Wer hat meine Lieblingsrose im Garten abgeschnitten?
Es läutete gerade zur ersten Schulstunde, als Karla den Chemiesaal erreichte. Punktlandung. Normalerweise erschien sie immer mindestens zehn Minuten vor Unterrichtsbeginn, um noch den neuesten Klatsch mit ihren Freundinnen durchzuhecheln. Heute hatte sie sich nicht getraut. Das mulmige Gefühl im Bauch, das sich gestern nach dem Zusammenstoß mit Juliane dort ausgebreitet hatte, war auch nach der –
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