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Mogelpackung: Roman

Mogelpackung: Roman

Titel: Mogelpackung: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Schröter
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wieder für Probleme?«, stöhnte Fredo, wohl wissend, dass ihm Gesche diese Frage kaum würde beantworten können. »Können die nicht einfach mal ihre glückliche Kindheit genießen?«
    Gesche lächelte fein. »Man denkt immer, man hat Probleme, und die sind die wichtigsten auf der Welt. Und dann wachsen irgendwelche Rotznasen nach und denken von ihren Problemen das Gleiche.«
    »Also: Gar nicht drum kümmern?«
    »Wer sich nicht kümmert, wird nicht erwachsen und bleibt eine Rotznase«, erklärte Gesche feierlich, erhob sich vom Sofa und strebte zur Tür.

16.
    »Die ›Schwalbe‹ fliegt über den Eriesee,
    Gischt schäumt um den Bug wie Flocken von Schnee …«

    Tims Stirn ruhte auf der Schreibtischplatte, exakt: auf dem Papier mit dem Fontane-Gedicht »John Maynard«. Ballade, korrigierte sich Tim. Semmling, sein Deutschlehrer, bestand auf dieser Bezeichnung. Unter Ballade verstand Tim normalerweise einen weichgespülten Engtanzsong, den man am Ende seiner Hitparadenlaufzeit auf einem Kuschelrock-Sampler wiederfand. Nicht wirklich seine Musik. Mit der Gedicht-Ballade konnte er auch nicht viel anfangen. Er verstand es selbst nicht, wieso er den Mist nicht einfach in die Ecke schmiss – zu den anderen Schularbeiten, die er ebenfalls nicht erledigte. Vielleicht seinem Deutschlehrer zuliebe? Der alte Semmling hatte zwar eine Vollklatsche wie die meisten Lehrer, aber Tim empfand ihn wenigstens als gerecht. Und Semmling zeigte fast immer Begeisterung für das, was er im Unterricht durchnahm. Sogar, wenn seine Schüler deutlich zu verstehen gaben, dass es sie total langweilte. Das fand Tim irgendwie rührend – ein Mann auf verlorenem Posten, da konnte er sich ganz gut hineindenken. Ein Mann, dem Untergang geweiht. Wie John Maynard eigentlich:

    »›Noch da, John Maynard?‹ Und Antwort schallt’s
    mit ersterbender Stimme: ›Ja, Herr, ich halt’s!‹
    Und in die Brandung, was Klippe, was Stein,
    jagt er die ›Schwalbe‹ mitten hinein.
    Soll Rettung kommen, so kommt sie nur so.
    Rettung: der Strand von Buffalo!«

    Ganz schön gruselig, dachte Tim und stellte sich zum wiederholten Mal vor, er müsse am Steuerrad des brennenden Dampfers Kurs halten. Das Ruderhaus total verqualmt, keine Luft zum Atmen. Unerträgliche Hitze. Flammen, die immer näher kommen, glimmende Kleidung, versengte Haut, Schmerzen, Schmerzen, Schmerzen. Könnte glatt ein Songtext von Rammstein sein. Und dann:

    »Das Schiff geborsten. Das Feuer verschwelt.
    Gerettet alle. Nur einer fehlt!«

    Tim war sich nicht ganz sicher, ob er John Maynard, den Steuermann, nun als Held oder als Idiot betrachten sollte. Durch eine heldenhafte Tat Menschenleben zu retten, war die eine Sache, aber was hatte man davon, wenn man den Ruhm als Held des Tages nicht mehr miterlebte?

    »Sie lassen den Sarg in Blumen hinab,
    mit Blumen schließen sie das Grab,
    und mit goldner Schrift in den Marmorstein
    schreibt die Stadt ihren Dankspruch ein:
    ›Hier ruht John Maynard! In Qualm und Brand
    hielt er das Steuer fest in der Hand,
    er hat uns gerettet, er trägt die Kron,
    er starb für uns, unsre Liebe sein Lohn.‹«

    So was ist nur cool, wenn man es miterleben kann, dachte Tim, setzte sich auf und schob das Papier beiseite. Interpretation der Ballade. Ihm fiel nichts dazu ein. Also erst eine Runde »Command & Conquer« zocken – da verfügte Tim wenigstens über klare Strategien. Er wollte eben seinen PC aus dem Stand-by-Schlummer erwecken, als es an der Tür klopfte. Dann schob sich Fredo ins Zimmer.
    »Hallo, Tim. Alles klar?«
    »Jo«, antwortete Tim knapp. »Wieso nicht?«
    Fredo bahnte sich vorsichtig einen Weg durchs Chaos und zog sich einen Stuhl zum Schreibtisch heran, was der Junge argwöhnisch beobachtete. Scheint was Längeres zu werden, dachte Tim.
    »Ich wollte nur mal hören, was aus deinem Streit mit dem Biolehrer geworden ist«, erkundigte sich Fredo, nachdem er entspannt Platz genommen hatte.
    »Köhler? Der ist immer noch ein Blödmann, aber er lässt mich in Ruhe. Vorerst jedenfalls.«
    »Dann hat es ja etwas gebracht, dass ich mit Frau Anatol darüber gesprochen habe«, freute sich Fredo.
    Tim zuckte mit den Schultern. »Kann sein. Danke auch. War okay.«
    Mehr kann man wohl nicht erwarten, dachte Fredo. Sein Blick fiel auf das Papier mit der vielstrophigen Fontane-Ballade. »Und was hast du für Probleme mit Fontane und John Maynard?«
    Tim musterte seinen Onkel misstrauisch. »Du willst mir wirklich helfen? Warum?«
    »Weil ich keine

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