Mogelpackung: Roman
verkrochen …«
»So falsch ist der Name nicht. Anatol war der Mädchenname meiner Großmutter.«
»Mir ist auch ganz egal, wie du heißt. Hauptsache, du ziehst dir nicht plötzlich ’ne Latexmaske vom Gesicht und siehst aus wie Quasimodo.«
Helena lächelte, dann holte sie die Panik wieder ein. »Ich wollte eigentlich nicht heimlich weg von Thorsten. Zwei Tage bevor ich geflüchtet bin, hab ich ihm sogar gesagt, dass ich ihn verlasse …« Ihre Stimme begann zu zittern. »Wir hatten einen Hund, einen kleinen Jack-Russell-Terrier. Thorsten hat mich nur angegrinst, den Hund auf den Arm genommen und gesagt: Das mache ich mit dir, wenn du gehst – und dann hat er ihn erwürgt, vor meinen Augen! Ich hab geschrien und auf Thorsten eingeprügelt, aber er war stärker …«
Helena weinte jetzt, Fredo legte ihr tröstend den Arm um die Schultern.
»Ich rief die Polizei«, fuhr sie bebend fort. »Denen hat er weisgemacht, der Hund sei mir beim Spazierengehen fortgelaufen, ich sei deshalb psychisch am Ende und suche nur nach einer plausiblen Erklärung, warum das Tier nicht mehr da sei – ein typischer Fall von Schuldverdrängung. Thorsten ist psychologisch geschult. Er hat die Polizisten in fünf Minuten so umgedreht, dass sie mich um ein Haar in die Psychiatrie gebracht hätten!«
»Himmel. Wie bist du bloß an so einen Kerl geraten?«
»Wir waren Kollegen an derselben Schule. Er kann sehr überzeugend sein, wenn er etwas will. Und mich wollte er. Erst nach der Hochzeit habe ich gemerkt, was er für eine Mogelpackung ist. Vielleicht bin ich einfach zu blöde! Wolfgang Köhler habe ich auch falsch eingeschätzt, trotz der Erfahrung mit Thorsten. So was passiert mir immer wieder …«
»Na und? Mir auch. Aber deshalb bist du nicht die Böse, sondern Thorsten ist der Widerling. Wenn du jetzt fliehst, machst du ihn viel größer, als er es verdient! Bleib einfach. Und wenn du dich nicht sicher fühlst, zieh ein paar Tage zu mir – bei uns ist genug Platz in der Hütte.«
»Danke, aber …« Sie schüttelte den Kopf.
»Dann mach’s gut, Helena.« Fredo stand auf und ging zur Tür.
»Fredo …«
Er wandte sich zu ihr um. Helena sah ihn an, traurig und bittend zugleich. »Nimm mich in die Arme. Bitte …«
Am Himmel herrschte Endzeitstimmung. Schwarzgelbe Wolken drängten sich bis zum Horizont, den flackerndes Wetterleuchten durchglühte.
»Sieht ja fies aus«, sagte Marcel und schaltete das Abblendlicht ein.
»Das Verdeck musst du auch gleich zuklappen, sonst sitzen wir bald im Nassen!«, mahnte Karla an. Marcel nickte nur und jagte das Cabrio weiter über die Landstraße. Das Mädchen spähte durch die Windschutzscheibe voraus. »Falls du eine gute Stelle zum Halten suchst: Da vorne rechts geht gleich ein Feldweg ab.«
Marcel nahm Gas weg und erkannte die Abzweigung jetzt auch. Während er das Cabrio auf den Feldweg lenkte, erkundigte er sich neugierig: »Warst du hier schon mal?«
Karla nickte. »Mit meinem Onkel.«
Den Blick, den ihr Marcel daraufhin zuwarf, konnte sie nicht einordnen. Überhaupt lief der Nachmittag ganz anders, als Karla es erwartet hatte. Und das lag nicht am Programm. Sie waren Eis essen gewesen, durchs Städtchen gebummelt, ein bisschen durch die Gegend gefahren – so weit ganz okay. Aber die heitere Leichtigkeit, die noch an den beiden letzten Tagen auf dem Schulweg zwischen ihnen geherrscht hatte, stellte sich heute nicht ein. Das lag nicht an ihr, fühlte Karla. Marcel wirkte angespannt, irgendwie auf dem Sprung. Lauernd, fiel ihr ein – sein Blick eben war lauernd gewesen. Der Wagen rumpelte immer noch über den Feldweg.
»Warum halten wir nicht? Du willst doch nur das Verdeck schließen?«
»Gleich. Nur noch bis da vorn zum Wald«, erwiderte Marcel, ohne sie anzusehen. »Ist schön hier. Schön ruhig.«
Er will knutschen, wusste Karla plötzlich. Eigentlich hatte sie schon den ganzen Nachmittag mit so etwas gerechnet, aber von Marcel war kein Vorstoß in dieser Richtung erfolgt. Und sie selbst hatte sich nicht getraut. Um ihre aufsteigende Nervosität zu verbergen, bückte sich Karla zu ihrer Handtasche und nestelte ein Kaugummi heraus, welches sie sich in den Mund schob – möglichst unauffällig.
»Hier kann man auch gut spazieren gehen«, sagte sie, nur um das Gespräch nicht abreißen und peinliches Schweigen aufkommen zu lassen.
»Aber nicht bei diesem Wetter«, grinste Marcel und hielt nach einer Kurve, weit außer Sicht der Landstraße.
»Nein, bei
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