Mogelpackung: Roman
diesem Wetter lieber nicht.« Mein Gott, jetzt reden wir schon übers Wetter, dachte Karla. Warum kann ich nicht locker bleiben und genießen? Es grollte am Himmel, und dann fielen die ersten Tropfen. Marcel sprang aus dem Wagen.
»Soll ich dir helfen?«, rief Karla ihm nach.
»Bleib einfach sitzen!«, kam es zurück. Das Verdeck entfaltete und schloss sich. Gleich steigt er wieder ein, also hab deine Nerven im Griff, beschwor sich Karla. Und nimm den Kaugummi aus dem Mund, das macht sich nicht gut beim Küssen. Sie öffnete den kleinen Aschenbecher …
Marcel ließ sich wieder auf den Fahrersitz fallen und zog die Tür zu. »So, Schotten dicht!« Er wandte sich Karla zu und wollte siegessicher den Arm um sie legen – aber das Mädchen wich auf ihrem Sitz zurück und musterte ihn vorwurfsvoll. Dann hielt sie ihm die offene Rechte hin, in der vier Fahrradventile lagen – zwei davon offenbar nagelneu.
»Die lagen im Aschenbecher. Das sind meine – stimmt’s?«
Marcel zuckte abwartend mit den Schultern.
»Du hast meinem Fahrrad zweimal einen Platten verpasst, damit du mich abschleppen kannst?«
»Beim ersten Mal ist mir leider dein Onkel zuvorgekommen. Da brauchte ich den zweiten Versuch«, gab Marcel freimütig zu.
»Ich habe Juliane und den anderen die Schuld dafür gegeben! Warum hast du mich nicht einfach angesprochen? Was soll das Getrickse?«
»Hast recht, war unnötig. Du wärst bestimmt sowieso mitgekommen.« In seiner Stimme schwangen plötzlich Härte und Verachtung mit.
»Wie meinst du das?«
»Nun labere nicht so viel – dreh endlich den Liegesitz runter …«
Karla starrte verständnislos auf den großen, wunderschönen Traumprinzen, der sich vor ihren Augen in eine hässliche, abscheuliche Kreatur verwandelte.
»Du willst es doch auch«, fuhr Marcel sie an. »Du vögelst ja sogar mit deinem eigenen Onkel! Jeder weiß das! Hier habt ihr es bestimmt auch schon getrieben, was? Also los, hab dich nicht so …«
Fast instinktiv klatschte Karlas Hand auf Marcels Wange. Doch bevor sie ihre Handtasche raffen und aus dem Wagen springen konnte, fühlte sie sich von ihm fest umklammert. »So kommst du mir nicht davon«, hörte Karla ihn keuchen, und dann spürte sie seine Hände wandern …
Der Regen tröpfelte nicht mehr, er rauschte als kompakter Schwall vom Himmel, nahm die Sicht und erstickte jedes Geräusch außer dem knatternden Donner, der jeden zuckenden Blitz begleitete. Trommelfeuer. Fliegerangriff. Fliegerbombe. Irgendwas war mit einer Fliegerbombe, die gleich hochgehen würde, aber Gesche konnte sich nicht über den Zusammenhang klarwerden. Ihr Kleid klebte am Körper, sie zitterte vor Kälte und Erschöpfung. Außerdem war ihr übel. Gesche erinnerte sich daran, etwas getrunken zu haben, aber sie wusste nicht, was. Erst war es gut gewesen. Jetzt nicht mehr. Sie hob den Kopf, wischte sich das Wasser aus den Augen und versuchte, ihre Umgebung zu erkennen. Hier standen keine Häuser mehr. Es gab nur die Landstraße, auf der kaum ein Wagen unterwegs war.
So viel Wasser. Gut, dass ich hier bin, dachte Gesche. Fredo ist sicher wieder am Wasser. Markus garantiert auch. Die kriegen ja nie genug davon. Staudamm bauen, Kaulquappen fangen. Dann vergessen sie die Zeit. Und ich warte wieder vergeblich mit dem Abendbrot. Zum Glück weiß ich ja, wo ich die Burschen finde! Wenn mir bloß nicht so übel wäre.
Und nass war es. Vielleicht fand sie im Wald etwas Schutz. Da war endlich der Feldweg. Weiter hinten ging ein kleiner Pfad zwischen den Bäumen bis zum Bach. Hoffentlich hatten sich die Jungs irgendwo untergestellt. Fredo ist bestimmt etwas eingefallen, dachte Gesche, Fredo fällt immer etwas ein. Trotzdem muss ich die Bengel jetzt holen, bei diesem Gewitter …
Ein Blitz zuckte grell über den Himmel. Gesche erkannte die Umrisse eines geparkten Autos, nur wenige Meter von ihr entfernt. Ein trockenes Plätzchen. Gesche kämpfte mühsam eine in ihr aufsteigende Welle Übelkeit nieder, erreichte den Wagen und öffnete die Fahrertür. Ein junger Mann fuhr überrascht zu Gesche herum, während das Mädchen neben ihm blitzartig die Gelegenheit ergriff, die Beifahrertür öffnete und im Regen verschwand.
»Was …«, stieß Marcel überrumpelt hervor – da übergab sich Gesche im Schwall über Sitz und Fahrer. Mit schrillem Ekelschrei stieß Marcel die alte Frau von sich, knallte die Türen zu und startete. Gesche landete rücklings in einer Pfütze und sah zu, wie der Wagen wendete
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