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Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Titel: Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Horvath
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nächtlichen Schreie und das Schnarchen. Es ist wieder einmal Yaya, der schreit, und diesmal schreit er so laut, dass sogar ich aus dem Schlaf schrecke. Ich schlage die Augen auf und sehe Djaafar aufrecht im Bett sitzen, er summt leise vor sich hin. Es ist alles okay, soll dieses Summen sagen. Ich sehe im Halbdunkel, wie sich Yaya aufsetzt. Was ist los, fragt er verwirrt. Djaafar summt weiter. Du hast geschrien, sage ich. Ach so. Yaya reibt sich die Augen, bleibt ein paar Minuten aufrecht sitzen, dann lässt er sich wieder ins Bett zurücksinken. Mein Blick fällt auf den Radiowecker neben Djaafars Bett, es ist 0.37 Uhr. Von Djaafar ist nichts mehr zu hören, auch Yaya scheint sich wieder beruhigt zu haben. Doch dann setzt er sich erneut auf, blickt zu mir herüber, steht auf und geht aus dem Zimmer. Es ist 0.42 Uhr, Djaafars Atemzüge gehen regelmäßig. Es ist 0.47 Uhr, irgendwo in der Ferne fährt ein Polizei- oder Rettungswagen durch die Nacht. Es ist 0.51 Uhr, ein wild grunzendes Schwein hat sich zu Djaafar ins Bett gelegt, zwar kann ich es nicht sehen, dafür aber umso besser hören – wenn das der Prophet wüsste! Es ist 0.58 Uhr, und plötzlich gesellt sich zu dem nahen Grunzen ein fernes Seufzen und Stöhnen: Da, da, da, hallt es im Innenhof wider, da, da, da, dringt es durch die Papierwände, ich weiß, die Geräusche kommen aus dem dritten Stock, es sind Magomaz und Taisa, jeder weiß es. Da, da, da, die blonde Taisa mit den langen Beinen, Nino nennt sie Barbie, Magomaz, sowohl Musel- als auch Muskelmann, heißt bei ihr Ken, Sie haben schon zwei Betten kaputtgevögelt, weiß die heilige Nino zu berichten, Aaaaaaaaaaah, tönt es schließlich durch das ganze Haus, und das Schwein in Djaafars Bett scheint ebenfalls kurz vor dem Höhepunkt zu stehen. So, es reicht! Mit einem Ruck reiße ich die Decke weg, stehe auf und verlasse ebenfalls das Zimmer.
    Yaya sitzt in der Küche und hält sich mit beiden Händen an einer Teetasse fest. Hast du dein Medikament genommen, fragt Mira gerade, ihre schlanke Hand ruht auf seiner Schulter. Yaya nickt. Ich gehe wieder schlafen, aber du weißt: Wenn du irgendetwas brauchst, kannst du immer bei mir anklopfen. Yaya nickt wieder. Untersteh dich, schwarzer Fremdling, an meines Engels Pforte zu treten, schleudere ich ihm entgegen, doch weder er noch Mira nehmen Notiz von mir. Mira wendet sich zum Gehen und erblickt mich. Na, alles in Ordnung, fragt sie. Nein, nichts ist in Ordnung, wie soll man denn in diesem Irrenhaus schlafen? Der eine schreit wie am Spieß, der Zweite schnarcht wie ein Schwein, die Tschetschenen vögeln sich die Seele aus dem Leib, und tagsüber gibt es erst recht keine Ruhe, da hämmern einem die Arbeiter das Hirn aus der Birne. Na, na, na, beschwichtigt Mira und streicht mir mit der Hand über den Kopf, mit der Hand, die eben noch auf Yayas Schulter und wissen die Götter wo noch gelegen hat. Ich weiche ihr aus. Es wird schon wieder, sagt Mira mit gönnerhaftem Lächeln und geht ungerührt davon. Natürlich, meine Probleme werden nicht ernst genommen, aber wenn Yaya schreit, dann kommen alle gelaufen und sind die Sorge in Person: Hast du auch wirklich dein Medikament genommen, mein Süßer, Jederzeit kannst du bei mir anklopfen, mein Liebling, Ich bin allzeit für dich bereit, mein Schatz!
    Ich hole mir ein Glas Wasser und setze mich zu Yaya. Yaya, oder eigenlich George Yaya Nagbe, kommt aus Côte d’Ivoire. Okay, es scheint ihm wirklich nicht besonders gut zu gehen: Er sitzt vornübergebeugt am Tisch, den Kopf in die Hände gestützt, sein Oberkörper wippt langsam vor und zurück. Kopfschmerzen, frage ich ihn in seiner Muttersprache Krahn. Mhm, antwortet er. Er fasst mit einer Hand nach der Teetasse, die andere stützt weiterhin den Kopf. Hast du Albträume? Er nickt, und seine Hand krampft sich um die Tasse. Er ist nicht der Einzige, der nachts schreiend aufwacht, und es vergehe kaum eine Nacht, so erzählt man jedenfalls, in der nicht irgendjemand schlaflos umherirren würde. Ja, es gibt sogar Menschen im Haus – und ich möchte keine Namen nennen –, die behaupten, auch ich würde des Nachts manchmal schreien! Kein Wunder, heißt es dann, bei allem, was er erlebt hat, und mit sorgenvollen Blicken wollen sie einem gleich Sondersitzungen beim Seelendoktor vermitteln. Tatsächlich habe ich natürlich Besseres zu tun, als nächtens in der Gegend herumzuschreien, und man bleibe mir vom Leibe mit den Nachfahren des Doktors aus der Berggasse – ein

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