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Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Titel: Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Horvath
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Mensch wird ja wohl nicht krank im Kopf, nur, weil man die Familie ein bisschen gefoltert und umgebracht hat!
    Träumst du von Côte d’Ivoire, bohre ich weiter. Er reagiert nicht. Seine linke Hand beginnt mit dem grünen Stein zu spielen, den er an einem Lederband um den Hals trägt. Dieser Stein scheint wichtig für ihn zu sein, er trägt ihn Tag und Nacht, und immer wieder streichen seine Finger darüber, als wollten sie sich vergewissern, dass er immer noch da war. Ist das Jade, frage ich ihn. Er scheint mich nicht gehört zu haben, doch seine Finger hören auf, den Stein hin und her zu wenden. Stattdessen beginnt er, mit der Linken einige Male über den Handrücken der Rechten zu streifen. Kennst du dieses Gefühl, dass deine Hände irgendwie nicht … nicht zu dir gehören, will er wissen. Grundsätzlich kenne ich so ziemlich alles, in diesem konkreten Fall muss ich jedoch mit Nein antworten. Nicht aus eigener Anschauung, gebe ich zu, doch das dahinterliegende Phänomen der Dissoziation ist mir selbstverständlich ein Begriff, es ist ein typisches Symptom bei traumatisierten Menschen. Seine Hände bewegen sich weiter. Es ist wie … es ist so, als würden sie jemand anderem gehören, sagt er, und ich nicke wissend. Wir sitzen noch eine Weile am Küchentisch, eine Wolke des Schweigens hüllt uns ein, man hört nur das Ticken der Wanduhr zwischen den beiden Fenstern und das Zuschlagen einer Tür irgendwo in einem der unteren Stockwerke.

2
    Ich weiß nicht, welcher Mensch den Wecker erfunden und was er sich dabei gedacht hat, ich weiß nur, dass ich diesen Menschen Tag für Tag verfluche und ihm Pest, Cholera und die Fremdenpolizei auf den Hals wünsche. Schlaftrunken tastet meine Hand dem Lärm entgegen und entschärft mit einem Knopfdruck die Höllenmaschine. Zurück unters schützende Deckengebirge, zurück ins Land der süßen Träume, o Mira, komm in meine Arme! Wir schweben über den Wolken, von himmlischen Klängen umgeben, doch da, da läutet schon wieder Luzifer zum Götzendienst! Bei den Gazellen und den Hindinnen der Flur, rufe ich, störet doch die Liebe nicht und wecket sie nicht auf, bis es ihr selbst gefällt! Doch der Teufel lässt nicht locker, der Teufel schläft nicht, und ich weiß, jetzt heißt es kämpfen. Ich springe auf und greife zu dem Vorschlaghammer, der neben meinem Bett bereitliegt, und ich beende das Höllengeläut mit einem Schlag. Mit zwei weiteren Schlägen setze ich auch Djaafars und Yayas Wecker außer Gefecht, dann trete ich auf den Gang hinaus, und in einem Zimmer nach dem anderen wird nun der Teufel besiegt. Fürchtet euch nicht, rufe ich den Menschen entgegen, die sich vor dem zentnerschweren Hammer in meiner Hand ängstigen, ich bin gekommen, um euch – – – Aufstehen, Ali, Frühstück, es ist schon neun Uhr drei Viertel, dringt plötzlich Djaafars Stimme an mein Ohr. Das kann nicht sein, denn Djaafar ist stumm, ich reagiere also nicht darauf. Heute kommt neue Mädchen, spricht er weiter, und ich weiß nicht, was er mir damit sagen möchte. Doch da ist auch das Gehämmer der Bauarbeiter, und jetzt rüttelt mich Djaafar am Arm, fassungslos blicke ich ihn an, er spricht mir stumm von Frühstück, während ich gerade im Begriff bin, die Welt für immer vom Bösen zu befreien. Frühstück gibt nur bis neun Uhr, du weißt, sagt er. Nicht jetzt, rufe ich verzweifelt, doch es ist zu spät: Ich höre das triumphierende Lachen des Teufels und weiß, der Kampf ist wieder einmal verloren.
    Um neun Uhr wird die Küche geputzt, deshalb gibt es nach neun kein Frühstück mehr. Ich wanke in die Küche, gieße heißes Wasser in eine Tasse, füge einen Teebeutel hinzu, streiche Erdnussbutter auf ein Brot und verzehre beides schweigend. Die meisten meiner Mitbewohner frühstücken spät, und diese Mahlzeit spielt sich üblicherweise in monastischem Schweigen ab. Meine Brüder und Schwestern im Herrn, sie hängen halb tot über einem der beiden langen Tische, und nur selten durchbricht ein Wort die Stille im Refektorium: Wo ist das Zucker, Bruder, Der Zucker, Schwester, Danke, Bruder, Wie spät ist es, Wahrlich, ich sage euch, es ist neun Uhr und fünf Minuten. Du bist immer Letzte, schimpft Amal, die heute Küchenputzdienst hat. Der Herr sei mit dir, Schwester, die du selbst immer die Vorletzte bist, und mit deinem Geiste, und mit den Armen im Geiste. Heute kommt eine neue Mädchen, glaubt auch sie mir sagen zu müssen, als ich die Küche verlasse.
    Im Deutschkurs, in den wir hingehen

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